Jahreslosung 2020: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ Mk 9,24

Liebe Leserinnen und Leser,

„Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“, das ist die berühmte Gretchenfrage aus Goethes Faust. Eine Frage, die dem Dr. Faust sehr unangenehm ist, denn über das, was in ihm vorgeht, will er nicht reden, hat er sich doch mit ganz anderen Mächten eingelassen, als das fromme Gretchen wissen soll. Dieses Meisterwerk von Goethe ist jetzt über 200 Jahre alt, und doch finden wir Fragen darinnen, die aktueller kaum sein könnten. Nämlich die Frage nach dem Glauben und der Religion. In der heutigen Zeit ist es mehr und mehr üblich geworden Glaube und Religion als reine Privatsache zu sehen. Die „Gretchenfrage“ ist heute für viele Menschen fast schon eine Verletzung der Intimsphäre. „Was ich glaube, geht doch niemandem etwas an.“ sagt so mancher.

Als Kirche und als Christen aber ist es unsere Aufgabe dieses Thema immer wieder auch öffentlich zu diskutieren. Und deshalb freue ich mich sehr darüber, dass die Jahreslosung 2020 gerade den Glauben in den Mittelpunkt stellt. „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ Ein Ausspruch der erst mal etwas widersprüchlich klingt. Und doch erinnern mich diese Worte an so viele Aussagen, die man immer wieder hört: „Ich würde ja gerne glauben, aber ich kann nicht.“, „Ich beneide Menschen, die glauben können. Das muss ja so viel Sicherheit geben.“, „Das Christentum finde ich schon gut, aber viele Sachen, die in der Bibel stehen kann ich nicht glauben…“ Man könnte diese Reihe noch weiter fortsetzen.

Der Glaube beschäftigt die Menschen, doch trauen sich viele nicht ihn anzunehmen. Der Zweifel und die Rationalität scheinen dem oft im Weg zu stehen. Doch zeigt uns unsere Jahreslosung deutlich, dass Glaube und Zweifel sich nicht ausschließen. Ja, dass aus dem Zweifel vielleicht sogar ein noch tieferer Glaube wachsen kann.

Auf dem Bild rechts können Sie eine dünne Schneedecke sehen. Und darauf sind Spuren von einem Fahrrad oder etwas Ähnlichem. Die Spuren laufen nicht geradlinig. Wer hier unterwegs war, ist nicht zielstrebig von A nach B gefahren. Die Spuren überschneiden sich, man sieht Kurven und Wendungen. Vielleicht ist es mit dem Glauben ganz ähnlich. Auch im Glauben funktioniert es eben nicht immer, dass man sicher und zielstrebig ist. Man biegt falsch ab, läuft in Sackgassen und muss umkehren.

geistliches WortGlaube ist eben immer auch ein bisschen ein Weg ins Unbekannte. Er verändert sich. Er wird erschüttert. Etwa von den Schicksalsschlägen, die das Leben für uns bereithält. Wer einen geliebten Menschen verloren hat; wer Leid und Unrecht erfahren hat, der kennt vielleicht das Gefühl, Gott nicht verstehen zu können. Aber wer Gott sein Vertrauen schenkt, der kann eben gerade auch in den schweren Zeiten Kraft und Mut aus dem Glauben an Gott ziehen.

Mit diesem Jahr 2020 hat ein neues Jahrzehnt begonnen. Was bringen die Zwanziger Jahre? Viel Ungewisses liegt vor uns. Wir alle kennen die Krisen dieser Zeit. Ich meine gerade jetzt braucht unsere Welt Menschen, die sich offen zu ihrem Glauben bekennen. Nicht weil unser Glaube „perfekt“ wäre. Nicht weil wir meinen, es dürfe keine Zweifel und kein Grübeln über den Glauben geben. Sondern gerade weil wir uns trotz Zweifel und Grübeln an die Verheißung und die Hoffnung, die Jesus Christus uns geschenkt hat, halten. Und so lasst uns mit fester Stimme bekennen: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben“!

Ihr Pfarrer Oliver Schmidt