93. "Leben live"-Gottesdienst, 12. Mai 2018
Der Gottesdienst wurde vorbereitet vom Gottesdienstteam. Die Predigt hielt Pfarrer Thomas Lorenz.

Die verwendeten Bibeltexte sind - soweit nicht anders angegeben - mit freundlicher Genehmigung des Verlags entnommen aus: Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers in der revidierten Fassung von 1984,
durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung.
© 1999 Deutsche Bibelgesellschaft Stuttgart.
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Themenpredigt: "erwartungsfroh"

Es gilt das gesprochene Wort!


[ Schlussszene aus dem Film "Titanic" (1997) ]

Der Film endet mit einer Szene, in der Rose als junge Frau an der großen Treppe der Titanic von den Opfern des Untergangs begrüßt wird und Jack trifft und ihm die Hand entgegenstreckt …


Bist du erwartungsfroh? "Erwartungsfroh" - das ist ein interessantes Wort. Im Grunde genommen ist es dem Sinn nach das Eigenschaftswort zu dem Hauptwort "Vorfreude". Es gibt ebenso wenig ein Eigenschaftswort "vorfreudig", wie es eigentlich kein Namenwort "Erwartungsfreude" gibt. Aber sie ergänzen sich perfekt. Wer voll "Vorfreude" ist, der ist "erwartungsfroh". Natürlich kennen wir alle die Vorfreude, sei es die Vorfreude auf die eigene Hochzeit, die Vorfreude der Eltern auf das Kind, das bald geboren wird, die Vorfreude auf Weihnachten, die Vorfreude auf einen Urlaub … Jedem von uns fallen ohne weiteres zig Beispiele ein, bei denen es eine Vorfreude gab. Und nicht umsonst sagt der Volksmund, Vorfreude sei die schönste Freude.

Andererseits wissen wir natürlich: Etwas zu erwarten, ist nicht zwangsläufig mit Freude verbunden. Wobei - unsere deutsche Sprache ist da sehr feinsinnig … Sie unterscheidet zwischen "warten" und "erwarten". Wir gebrauchen das Wort "erwarten" in der Regel in einem positiven Sinn. Eine Frau erwartet ein Kind. Der Arbeitnehmer erwartet eine Beförderung. Der Vereinsvorstand erwartet rege Teilnahme an der Jahresversammlung. Der Finanzminister erwartet eine gute Konjunktur …

Niemand käme aber auf die Idee, nach einer ärztlichen Untersuchung einen Befund zu "erwarten". Nein, da sagen wir nur: Ich muss noch auf den Befund "warten". Insofern bringt in dem Wort "erwartungsfroh" der zweite Wortbestandteil "-froh" etwas zum Ausdruck, was im ersten Wortbestandteil "erwartungs-" in gewisser Weise bereits enthalten ist.

Wir haben heute ein kleines Geschenk dabei. Aber wer es letztlich bekommt, ist keineswegs schon ausgemacht …


[ Aktion: Auspacken und Weitergeben eines mehrfach eingepackten Geschenks
(Gutschein für ein Frühstück) ]


Im Kirchenjahr befinden wir uns heute ja in der sog. pfingstlichen Wartezeit, die 10 Tage vor Pfingsten mit der Himmelfahrt Jesu beginnt.

Nun liegt es ja in der Natur der Sache, dass wir alle Feste und Ereignisse, die in der ersten Kirchenjahreshälfte liegen, so kennen, dass wir immer schon wissen, wie es ausgegangen ist. Wir wissen bereits, dass Jesus geboren ist - und haben nicht nur die Ankündigung der Geburt des Gottessohnes durch den Engel Gabriel. Wir wissen bereits, dass Jesus gelitten hat und gekreuzigt wurde und am dritten Tage auferstand. Die Jünger damals kannten es nur als Ankündigung, als Ankündigung seines Leidens, Sterbens und Auferstehens. Und das Gleiche gilt nun für Himmelfahrt. Wir wissen natürlich, dass Jesus nicht nur seinen Geist angekündigt hat, sondern dass die Verheißung bereits an Pfingsten sich erfüllt hat, als der Geist Gottes ausgegossen wurde über die in Jerusalem versammelten Jünger.

Doch es lohnt sich, gedanklich bewusst einmal einen Schritt zurück zu gehen. Bewusst einmal zu versuchen, sich in die Lage der Jünger zu versetzen, von dieser "weiß ich doch eh schon"-Haltung Abstand zu nehmen. Dann wird einem nämlich vieles klarer und eindrücklicher. Und man kann neu ins Staunen kommen. Und man merkt, dass es den vermeintlichen Vorteil, den die Jünger damals gegenüber uns heute hatten, so gar nicht gab, wie wir uns das oft vorstellen.

Also, wie war das damals, vor rund 2000 Jahren? Nachdem die Jünger langsam dieses Wunder der Auferstehung ihres Herrn und Meisters erfasst hatten - mit dem Kopf, vor allem aber mit dem Herzen -, mussten sie bald wieder Abschied nehmen. Gerade mal 40 Tage gewährte Jesus seinen Leuten, in denen er sich ihnen sichtbar als der Auferstandene zeigte. Und dann kündigt er an, dass er sie verlassen werde (Johannes 16):

5 Jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand von euch fragt mich: Wo gehst du hin?
6 Doch weil ich das zu euch geredet habe, ist euer Herz voll Trauer.
7 Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden.
13 Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten …
16 Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen.
17 Da sprachen einige seiner Jünger untereinander: Was bedeutet das, was er zu uns sagt: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen; und: Ich gehe zum Vater?
18 Da sprachen sie: Was bedeutet das, was er sagt: Noch eine kleine Weile? Wir wissen nicht, was er redet.
19 Da merkte Jesus, dass sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: Danach fragt ihr euch untereinander, dass ich gesagt habe: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen?
20 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden.


Die Jünger fragten sich: Was ist denn "eine kleine Weile"? Handelt es sich um Stunden, um Tage, um Wochen oder Monate? Und dann kam der Tag, dem sie mit Bangen entgegengingen. Jesus führt seine Jünger nach Betanien auf einen Berg, und er wird von einer Wolke vor ihren Augen emporgehoben in den Himmel. Jesus als sichtbarer Auferstandener ist nun nur noch Geschichte.

Aber merkwürdig: von Trauer ist nichts zu spüren. Ganz im Gegenteil. Der Evangelist Lukas schreibt: "Sie aber beteten ihn an und kehrten zurück nach Jerusalem mit großer Freude und waren allezeit im Tempel und priesen Gott" (Lukas 24,52f).
Was hat das nun mit uns heute zu tun? Und was hat das mit unserem Thema "erwartungsfroh" zu tun? Ich denke, sehr viel.

Unsere Situation gleicht in mancherlei Hinsicht der Situation der Jünger damals. Sie hatten nur das Wort, das Jesus ihnen gab: "Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch" (Johannes 14,18). Sie hatten das Wort, mehr aber auch nicht. Jesus ließ sich nicht in die Karten blicken, wann er die seinen zurücklassen würde und auch nicht, wann genau er den Heiligen Geist senden werde. "Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen." Ja, dieses Wort hatten die Jünger damals: "nicht mehr sehen", damit ist Jesu Himmelfahrt gemeint, "dann werdet ihr mich sehen", damit ist Jesu Wiederkunft, sein zweites Kommen auf die Erde, gemeint. Erstaunlich, dass Jesus beide Zeiträume mit der Angabe "eine kleine Weile" beschreibt. Wir wissen ja, dass mit der ersten "kleinen Weile" ein Zeitraum von 40 Tagen gemeint war, die zweite "kleine Weile" dauert nun schon knapp 2000 Jahre …

Also, wenn wir immer meinen, die Jünger damals hätten es so viel besser gehabt als wir heute, dann sollten wir bedenken, dass sie zwar ihren Herrn und Meister Jesus sichtbar vor Augen hatten, er ihnen aber keineswegs alle göttlichen Geheimnisse immer gleich offenbarte. Oft hatten sie nur sein Wort, an das sie sich halten, ja klammern konnten.

Was aber wirklich erstaunlich ist - und das hat nun mit unserem Thema "erwartungsfroh" direkt zu tun -, das ist, dass sie nach der Himmelfahrt Jesu "mit großer Freude" nach Jerusalem zurückkehrten. Sie waren wirklich "erwartungsfroh". Und das, obwohl sie nicht wussten, wann sich das Versprechen Jesu, die Verheißung des Heiligen Geistes erfüllen würde. Auch hier hatten sie wieder nur das Wort.


4 Und als er mit ihnen zusammen war, befahl er ihnen, Jerusalem nicht zu verlassen, sondern zu warten auf die Verheißung des Vaters, die ihr, so sprach er, von mir gehört habt;
5 denn Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber sollt mit dem Heiligen Geist getauft werden nicht lange nach diesen Tagen.
6 Die nun zusammengekommen waren, fragten ihn und sprachen: Herr, wirst du in dieser Zeit wieder aufrichten das Reich für Israel?
7 Er sprach aber zu ihnen: Es gebührt euch nicht, Zeit oder Stunde zu wissen, die der Vater in seiner Macht bestimmt hat;
8 aber ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde.


Erwartungsfroh zu sein hat also nichts damit zu tun, dass wir immer alles sehen können. Seit der Himmelfahrt ist die Situation der Christen nun einmal die, dass wir Jesus, den Heiland und Erlöser nicht mehr sehen können, ihn nicht anfassen können, nicht mehr "von Mensch zu Mensch" mit ihm reden können, so wie man mit einem sichtbaren Gegenüber redet.

- Klammer auf - Es gibt nur eine einzige Möglichkeit, auch heute noch Jesus mit den Sinnen wahrzunehmen, nämlich beim Heiligen Abendmahl. Da sehen wir den Leib Jesu und sein Blut, da spüren wir den Leib Jesu und sein Blut - auf der Hand, zwischen den Fingern, auf den Lippen, auf der Zunge, da schmecken wir den Leib Jesu und sein Blut. - Klammer zu -

Ich sagte am Anfang, wir wären im Kirchenjahr jetzt in der sog. pfingstlichen Wartezeit. Ja, das stimmt, auch wenn wir wissen wie diese Wartezeit ausgegangen ist, nämlich mit der Ausgießung des Heiligen Geistes an Pfingsten.

Aber seit der Himmelfahrt Jesu warten Christen darauf, dass er so vom Himmel auf unsere Erde zurückkehrt, wie er damals in den Himmel aufgefahren ist. Und das sind nun schon bald 2000 Jahre. Was wir von den Jüngern damals lernen können, ist, uns an das Wort Jesu zu halten, uns daran zu klammern, uns darauf zu verlassen. Erwartungsfroh zu sein im Blick auf das, was wir noch nicht sehen, was uns aber angekündigt und verheißen ist. Und wenn Jesus bisher alle seine Versprechen und Verheißungen erfüllt hat, warum sollte er es mit diesem Versprechen nicht auch so machen?

Erwartungsfroh zu sein im Blick auf die Wiederkunft des Gottessohnes, dass er eines Tages wiederkommen wird auf diese Erde. Und dieses Kommen wird doch so ganz anders sein als sein erstes Kommen.

Das erste Kommen Jesu war seine Geburt im Stall von Bethlehem. Das zweite Kommen wird auf den Wolken des Himmels sein.

Das erste Kommen Jesu geschah in Armut und Niedrigkeit. Das zweite Kommen wird in Herrlichkeit und Pracht sein.

Als Jesus bei seinem ersten Kommen auf dieser Erde lebte und wirkte, wurde er nur von wenigen als Gottes Sohn erkannt. Bei seinem zweiten Kommen werden ihn alle Menschen erkennen und alle Knie sich vor ihm beugen und bekennen: "Jesus Christus ist der Herr".

Zum ersten Mal kam Jesus auf diese Erde als Erlöser, um Menschen von Sünde, Tod und Teufel zu befreien durch seinen Tod am Kreuz und seine siegreiche Auferstehung. Zum zweiten Mal kommt Jesus als Richter auf die Erde und um die Seinen zu sich zu holen und in seinem Reich zu vollenden.

Können wir uns darauf freuen? Sind wir von Vorfreude erfüllt? Gehen wir erwartungsfroh diesem Tag entgegen? Auch wenn wir nicht wissen, wann dieser letzte Tag der Menschheitsgeschichte anbricht. Aber wenn Jesus sagt: "Von dem Tage aber und von der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater" (Matthäus 24,36), wenn also nicht einmal Jesus, der Sohn, selbst weiß, wann er auf diese Erde zurückkehren wird, dann steht es uns auch nicht zu, über diesen Zeitpunkt zu spekulieren und Vermutungen anzustellen. Dann haben wir eben auch nicht mehr als die Jünger damals und die ersten Christen, nämlich das Wort Jesu, das er zu uns gesprochen hat, als er sichtbar auf dieser Welt lebte und wirkte. Und dieses Wort haben wir auch, wir können es nachlesen im Neuen Testament. Jesus hat uns alles darin gegeben, was wir wissen müssen. Darauf ist Verlass. Genauso zuverlässig, wie Jesus alle bisherigen Verheißungen erfüllt hat, so wird er auch diese Verheißungen erfüllen.

Deshalb dürfen wir erwartungsfroh in die Zukunft blicken. Denn die Zukunft ist kein "Etwas", sondern ein "Jemand". Aber nicht irgendjemand, sondern derselbe Jesus Christus, der als göttlicher Erlöser, Gottmensch zu uns kam. Derselbe, der in einem Stall geboren wurde, elendig am Kreuz starb, siegreich auferstand und zurückkehrte zum Vater. Derselbe, der Menschen heilte, einen Sturm zum Schweigen brachten, Sündern die Vergebung zusprach. Der, von dem uns die Evangelien und das ganze Neue Testament berichtet, der ist unsere Zukunft. Und dem dürfen wir erwartungsfroh entgegengehen.

Die Kirchengemeinde Eysölden und das Gottesdienstteam wünscht eine gesegnete Woche!