
Themenpredigt: "erwartungsfroh"

Es gilt das gesprochene Wort!

[ Schlussszene aus dem Film "Titanic"
(1997) ]
Der Film endet mit einer Szene, in der Rose als
junge Frau an der großen Treppe der Titanic von den Opfern des Untergangs
begrüßt wird und Jack trifft und ihm die Hand entgegenstreckt
Bist du erwartungsfroh? "Erwartungsfroh"
- das ist ein interessantes Wort. Im Grunde genommen ist es dem Sinn nach das Eigenschaftswort
zu dem Hauptwort "Vorfreude". Es gibt ebenso wenig ein Eigenschaftswort
"vorfreudig", wie es eigentlich kein Namenwort "Erwartungsfreude" gibt. Aber sie ergänzen sich perfekt. Wer voll "Vorfreude"
ist, der ist "erwartungsfroh". Natürlich kennen wir alle die Vorfreude,
sei es die Vorfreude auf die eigene Hochzeit, die Vorfreude der Eltern auf das
Kind, das bald geboren wird, die Vorfreude auf Weihnachten, die Vorfreude auf einen
Urlaub
Jedem von uns fallen ohne weiteres zig Beispiele ein, bei denen es
eine Vorfreude gab. Und nicht umsonst sagt der Volksmund, Vorfreude sei die schönste
Freude.
Andererseits wissen wir natürlich: Etwas zu
erwarten, ist nicht zwangsläufig mit Freude verbunden. Wobei - unsere deutsche
Sprache ist da sehr feinsinnig
Sie unterscheidet zwischen "warten"
und "erwarten". Wir gebrauchen das Wort "erwarten"
in der Regel in einem positiven Sinn. Eine Frau erwartet ein Kind. Der Arbeitnehmer
erwartet eine Beförderung. Der Vereinsvorstand erwartet rege Teilnahme an
der Jahresversammlung. Der Finanzminister erwartet eine gute Konjunktur
Niemand käme aber auf die Idee, nach einer
ärztlichen Untersuchung einen Befund zu "erwarten". Nein, da sagen
wir nur: Ich muss noch auf den Befund "warten". Insofern bringt in dem
Wort "erwartungsfroh" der zweite Wortbestandteil "-froh" etwas
zum Ausdruck, was im ersten Wortbestandteil "erwartungs-" in gewisser
Weise bereits enthalten ist.
Wir haben heute ein kleines Geschenk dabei. Aber
wer es letztlich bekommt, ist keineswegs schon ausgemacht
[ Aktion: Auspacken und Weitergeben eines mehrfach
eingepackten Geschenks
(Gutschein für ein Frühstück) ]
Im Kirchenjahr befinden wir uns heute ja in der
sog. pfingstlichen Wartezeit, die 10 Tage vor Pfingsten mit der Himmelfahrt Jesu
beginnt.
Nun liegt es ja in der Natur der Sache, dass wir
alle Feste und Ereignisse, die in der ersten Kirchenjahreshälfte liegen, so
kennen, dass wir immer schon wissen, wie es ausgegangen ist. Wir wissen bereits,
dass Jesus geboren ist - und haben nicht nur die Ankündigung der Geburt des
Gottessohnes durch den Engel Gabriel. Wir wissen bereits, dass Jesus gelitten hat
und gekreuzigt wurde und am dritten Tage auferstand. Die Jünger damals kannten
es nur als Ankündigung, als Ankündigung seines Leidens, Sterbens und
Auferstehens. Und das Gleiche gilt nun für Himmelfahrt. Wir wissen natürlich,
dass Jesus nicht nur seinen Geist angekündigt hat, sondern dass die Verheißung
bereits an Pfingsten sich erfüllt hat, als der Geist Gottes ausgegossen wurde
über die in Jerusalem versammelten Jünger.
Doch es lohnt sich, gedanklich bewusst einmal einen
Schritt zurück zu gehen. Bewusst einmal zu versuchen, sich in die Lage der
Jünger zu versetzen, von dieser "weiß ich doch eh schon"-Haltung
Abstand zu nehmen. Dann wird einem nämlich vieles klarer und eindrücklicher.
Und man kann neu ins Staunen kommen. Und man merkt, dass es den vermeintlichen
Vorteil, den die Jünger damals gegenüber uns heute hatten, so gar nicht
gab, wie wir uns das oft vorstellen.
Also, wie war das damals, vor rund 2000 Jahren?
Nachdem die Jünger langsam dieses Wunder der Auferstehung ihres Herrn und
Meisters erfasst hatten - mit dem Kopf, vor allem aber mit dem Herzen -, mussten
sie bald wieder Abschied nehmen. Gerade mal 40 Tage gewährte Jesus seinen
Leuten, in denen er sich ihnen sichtbar als der Auferstandene zeigte. Und dann
kündigt er an, dass er sie verlassen werde (Johannes 16):
5 Jetzt aber gehe ich
hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand von euch fragt mich:
Wo gehst du hin?
6 Doch weil ich das zu euch geredet
habe, ist euer Herz voll Trauer.
7 Aber ich sage euch die Wahrheit:
Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe,
kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, will ich
ihn zu euch senden.
13 Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit,
kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten
16 Noch eine kleine Weile, dann werdet
ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet
ihr mich sehen.
17 Da sprachen einige seiner Jünger
untereinander: Was bedeutet das, was er zu uns sagt: Noch eine kleine
Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile,
dann werdet ihr mich sehen; und: Ich gehe zum Vater?
18 Da sprachen sie: Was bedeutet das,
was er sagt: Noch eine kleine Weile? Wir wissen nicht, was er redet.
19 Da merkte Jesus, dass sie ihn fragen
wollten, und sprach zu ihnen: Danach fragt ihr euch untereinander,
dass ich gesagt habe: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich
nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen?
20 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch:
Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet
traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden.
Die Jünger fragten sich: Was ist denn "eine kleine Weile"? Handelt es sich um Stunden, um Tage, um Wochen oder
Monate? Und dann kam der Tag, dem sie mit Bangen entgegengingen. Jesus führt
seine Jünger nach Betanien auf einen Berg, und er wird von einer Wolke vor
ihren Augen emporgehoben in den Himmel. Jesus als sichtbarer Auferstandener ist
nun nur noch Geschichte.
Aber merkwürdig: von Trauer ist nichts zu
spüren. Ganz im Gegenteil. Der Evangelist Lukas schreibt: "Sie aber beteten ihn an und kehrten zurück
nach Jerusalem mit großer Freude und waren allezeit im Tempel und priesen
Gott" (Lukas 24,52f).
Was hat das nun mit uns heute zu tun? Und was hat
das mit unserem Thema "erwartungsfroh" zu tun? Ich denke, sehr viel.
Unsere Situation gleicht in mancherlei Hinsicht
der Situation der Jünger damals. Sie hatten nur das Wort, das Jesus ihnen
gab: "Ich will euch nicht
als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch" (Johannes 14,18). Sie hatten das Wort, mehr aber auch nicht. Jesus ließ
sich nicht in die Karten blicken, wann er die seinen zurücklassen würde
und auch nicht, wann genau er den Heiligen Geist senden werde. "Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht
mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen." Ja, dieses Wort hatten die Jünger damals: "nicht mehr sehen", damit ist Jesu Himmelfahrt gemeint, "dann werdet ihr mich sehen",
damit ist Jesu Wiederkunft, sein zweites Kommen auf die Erde, gemeint. Erstaunlich,
dass Jesus beide Zeiträume mit der Angabe "eine kleine Weile"
beschreibt. Wir wissen ja, dass mit der ersten "kleinen Weile" ein Zeitraum
von 40 Tagen gemeint war, die zweite "kleine Weile" dauert nun schon
knapp 2000 Jahre
Also, wenn wir immer meinen, die Jünger damals
hätten es so viel besser gehabt als wir heute, dann sollten wir bedenken,
dass sie zwar ihren Herrn und Meister Jesus sichtbar vor Augen hatten, er ihnen
aber keineswegs alle göttlichen Geheimnisse immer gleich offenbarte. Oft hatten
sie nur sein Wort, an das sie sich halten, ja klammern konnten.
Was aber wirklich erstaunlich ist - und das hat
nun mit unserem Thema "erwartungsfroh" direkt zu tun -, das ist, dass
sie nach der Himmelfahrt Jesu
"mit großer Freude"
nach Jerusalem zurückkehrten. Sie waren wirklich "erwartungsfroh".
Und das, obwohl sie nicht wussten, wann sich das Versprechen Jesu, die Verheißung
des Heiligen Geistes erfüllen würde. Auch hier hatten sie wieder nur
das Wort.
4 Und als er mit ihnen zusammen war,
befahl er ihnen, Jerusalem nicht zu verlassen, sondern zu warten auf
die Verheißung des Vaters, die ihr, so sprach er, von mir gehört
habt;
5 denn Johannes hat mit Wasser getauft,
ihr aber sollt mit dem Heiligen Geist getauft werden nicht lange nach
diesen Tagen.
6 Die nun zusammengekommen waren, fragten
ihn und sprachen: Herr, wirst du in dieser Zeit wieder aufrichten das
Reich für Israel?
7 Er sprach aber zu ihnen: Es gebührt
euch nicht, Zeit oder Stunde zu wissen, die der Vater in seiner Macht
bestimmt hat;
8 aber ihr werdet die Kraft des Heiligen
Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen
sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das
Ende der Erde.
Erwartungsfroh zu sein hat also nichts damit zu
tun, dass wir immer alles sehen können. Seit der Himmelfahrt ist die Situation
der Christen nun einmal die, dass wir Jesus, den Heiland und Erlöser nicht
mehr sehen können, ihn nicht anfassen können, nicht mehr "von Mensch
zu Mensch" mit ihm reden können, so wie man mit einem sichtbaren Gegenüber
redet.
- Klammer auf - Es gibt nur eine einzige Möglichkeit, auch heute noch Jesus mit den
Sinnen wahrzunehmen, nämlich beim Heiligen Abendmahl. Da sehen wir den Leib
Jesu und sein Blut, da spüren wir den Leib Jesu und sein Blut - auf der Hand,
zwischen den Fingern, auf den Lippen, auf der Zunge, da schmecken wir den Leib
Jesu und sein Blut. - Klammer
zu -
Ich sagte am Anfang, wir wären im Kirchenjahr
jetzt in der sog. pfingstlichen Wartezeit. Ja, das stimmt, auch wenn wir wissen
wie diese Wartezeit ausgegangen ist, nämlich mit der Ausgießung des
Heiligen Geistes an Pfingsten.
Aber seit der Himmelfahrt Jesu warten Christen
darauf, dass er so vom Himmel auf unsere Erde zurückkehrt, wie er damals in
den Himmel aufgefahren ist. Und das sind nun schon bald 2000 Jahre. Was wir von
den Jüngern damals lernen können, ist, uns an das Wort Jesu zu halten,
uns daran zu klammern, uns darauf zu verlassen. Erwartungsfroh zu sein im Blick
auf das, was wir noch nicht sehen, was uns aber angekündigt und verheißen
ist. Und wenn Jesus bisher alle seine Versprechen und Verheißungen erfüllt
hat, warum sollte er es mit diesem Versprechen nicht auch so machen?
Erwartungsfroh zu sein im Blick auf die Wiederkunft
des Gottessohnes, dass er eines Tages wiederkommen wird auf diese Erde. Und dieses
Kommen wird doch so ganz anders sein als sein erstes Kommen.
Das erste Kommen Jesu war seine Geburt im Stall
von Bethlehem. Das zweite Kommen wird auf den Wolken des Himmels sein.
Das erste Kommen Jesu geschah in Armut und Niedrigkeit.
Das zweite Kommen wird in Herrlichkeit und Pracht sein.
Als Jesus bei seinem ersten Kommen auf dieser Erde
lebte und wirkte, wurde er nur von wenigen als Gottes Sohn erkannt. Bei seinem
zweiten Kommen werden ihn alle Menschen erkennen und alle Knie sich vor ihm beugen
und bekennen: "Jesus Christus ist der Herr".
Zum ersten Mal kam Jesus auf diese Erde als Erlöser,
um Menschen von Sünde, Tod und Teufel zu befreien durch seinen Tod am Kreuz
und seine siegreiche Auferstehung. Zum zweiten Mal kommt Jesus als Richter auf
die Erde und um die Seinen zu sich zu holen und in seinem Reich zu vollenden.
Können wir uns darauf freuen? Sind wir von
Vorfreude erfüllt? Gehen wir erwartungsfroh diesem Tag entgegen? Auch wenn
wir nicht wissen, wann dieser letzte Tag der Menschheitsgeschichte anbricht. Aber
wenn Jesus sagt: "Von dem
Tage aber und von der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht,
auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater" (Matthäus 24,36), wenn also nicht einmal Jesus, der Sohn, selbst weiß,
wann er auf diese Erde zurückkehren wird, dann steht es uns auch nicht zu,
über diesen Zeitpunkt zu spekulieren und Vermutungen anzustellen. Dann haben
wir eben auch nicht mehr als die Jünger damals und die ersten Christen, nämlich
das Wort Jesu, das er zu uns gesprochen hat, als er sichtbar auf dieser Welt lebte
und wirkte. Und dieses Wort haben wir auch, wir können es nachlesen im Neuen
Testament. Jesus hat uns alles darin gegeben, was wir wissen müssen. Darauf
ist Verlass. Genauso zuverlässig, wie Jesus alle bisherigen Verheißungen
erfüllt hat, so wird er auch diese Verheißungen erfüllen.
Deshalb dürfen wir erwartungsfroh in die Zukunft
blicken. Denn die Zukunft ist kein "Etwas", sondern ein "Jemand".
Aber nicht irgendjemand, sondern derselbe Jesus Christus, der als göttlicher
Erlöser, Gottmensch zu uns kam. Derselbe, der in einem Stall geboren wurde,
elendig am Kreuz starb, siegreich auferstand und zurückkehrte zum Vater. Derselbe,
der Menschen heilte, einen Sturm zum Schweigen brachten, Sündern die Vergebung
zusprach. Der, von dem uns die Evangelien und das ganze Neue Testament berichtet,
der ist unsere Zukunft. Und dem dürfen wir erwartungsfroh entgegengehen.

Die Kirchengemeinde
Eysölden und das Gottesdienstteam wünscht eine gesegnete Woche!
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