Themenpredigt: "Identität - Original oder Kopie?"
Es gilt das gesprochene Wort!
Identität hat etwas mit Selbstwahrnehmung
und Fremdwahrnehmung zu tun: Wie sehe ich mich selber? Wie sehen mich andere? Wer
bin ich?
[ Selbstporträts und Fotos von Otto Dix
und Max Beckmann ]
Welche Folgen das haben kann, zeigt eine Erzählung
von Max Frisch: "Der andorranische Jude". Hören wir uns an, worum
es in dieser Geschichte geht
"Identität - Original oder Kopie?"
- so lautet unser heutiges Thema. Sehen wir uns zunächst die Begriffe ein
wenig näher an.
Identität - Identität ist ein moderner Begriff, der in aller Munde ist. Jeder
weiß oder meint zu wissen, was "Identität" ist. Blicken wir
auf die Wortherkunft, die sog. Etymologie. Das Wort "Identität"
geht auf ein besonderes lateinisches Demonstrativpronomen (hinweisendes Fürwort)
zurück: ?dem, eadem, idem und bedeutet: derselbe, dieselbe, dasselbe.
Identität hat also immer einen Ausgangspunkt, etwas Vorgegebenes, das nicht
beliebig und frei zu bestimmen ist.
Und damit sind wir beim zweiten Begriff: "Original".
Dieses Wort wird gerne falsch geschrieben, ohne i' nach dem r' - entsprechend
verschluckt man auch gerne in der Aussprache das i'
Es ist auch ein
Fremdwort, das aus dem Lateinischen stammt: origo, originis bedeutet
"Ursprung, Abstammung, Herkunft,
Anfang". Ein Original ist
also wörtlich etwas, das sich auf "Ursprung, Abstammung, Herkunft, Anfang"
bezieht und ihm entspricht. Der Ursprung eines Flusses ist z. B. die Quelle; irgendwo
tritt das Wasser zum ersten Mal aus der Erde, ganz egal wie groß oder breit
der Fluss im weiteren Verlauf sein mag.
Was schließlich eine Kopie ist,
braucht nicht groß erklärt zu werden. Das seit dem 14. Jahrhundert bezeugte,
aus der Kanzleisprache stammende Fremdwort Kopie bedeutet "Abschrift, Doppel,
Reproduktion eines Schriftstücks; Abzug; Doppel eines Films; genaue Nachbildung
besonders eines Kunstwerks". Es ist aus mittellateinisch copia "(den
Bestand an Exemplaren vermehrende) Abschrift" entlehnt. Dies geht zurück
auf lateinisch copia "Fülle,
Vorrat, Menge". Eine Kopie
ist nie dasselbe wie das Original!
Worum geht es also bei der Identität? Nun,
wenn idem auf Deutsch "dasselbe" bedeutet,
dann geht es darum, ob das, was ich in Wirklichkeit bin, dasselbe ist, mit dem
übereinstimmt, was ich selbst fühle, meine und empfinde, und letztlich
ob es dasselbe ist und mit dem Original
übereinstimmt, wie Gott
der Schöpfer mich gedacht hat.
Wer bin ich? Welch eine Frage! Kaum ein Mensch
stellt sie sich direkt, und doch handelt es sich hier um die zentrale Frage unseres
Lebens. die uns mehr als alles andere umtreibt. Es ist die Frage nach unserer Identität.
Identität ist die Antwort, die ein Mensch
sich selbst gibt, wenn er vor der Frage steht: "Wer bin ich?"
Um so fragen zu können, muss der Mensch natürlich
erst ein Ichbewusstsein haben. Wenn ein Mensch geboren wird, kann er ja zunächst
noch nicht unterscheiden zwischen Ich und Nicht-Ich. Nach der Geburt sieht der
Säugling sich und seine Umwelt als eine Einheit. Sobald er erkennt, dass er
eine von der Umwelt unterscheidbare Größe ist, eine Person, fängt
er an, sich mit sich selbst zu beschäftigen. So spielt er z. B. mit seinen
Fingern oder Zehen und wundert sich, ob das wohl auch zu ihm gehört. Wenn
das Kleinkind sprechen lernt, spricht es von sich selbst zunächst noch in
der dritten Person. Die zunehmende Ausgestaltung des Ichbewusstseins zeigt sich
nicht zuletzt darin, dass es sagen kann: "Ich." Und bald fängt der
junge Mensch an zu fragen: "Wer bin ich?" Diese Frage wird ihn zeitlebens
nicht mehr loslassen. Jeder stellt sie, auch wenn ihm das nicht so bewusst ist.
Diese Frage kennzeichnet das Problem der Identität. Sie ist nicht immer gleich
drängend, aber sie wird nie aus dem Leben verschwinden. Während sie in
der Pubertät besonders bestimmend ist, tritt sie später wieder etwas
zurück. Ist man dann in Beruf und Familie etabliert, hat man sich meist eine
schlüssige und einigermaßen befriedigende Antwort gegeben. Später,
bei einer Scheidung, bei Eintreten von Arbeitslosigkeit oder Rente, tritt diese
Frage wieder mehr in den Vordergrund. Auch der Alterungsprozess stellt die Identität
von so manchem in Frage, der seine Bedeutung in Jugend und Schönheit, Gesundheit
oder Schaffenskraft gefunden hat. Jeder Identitätsverlust bewirkt eine Lebenskrise,
die prinzipiell eine positive Lösung finden könnte, aber öfter eine
negative Entwicklung einleitet und zu erheblichen Störungen führen kann.
[ Lied-Einspielung Siegfried Fietz: "Wer
bin ich?" (Text von Dietrich Bonhoeffer) ]
Es gibt nur eine Person, die kein Identitätsproblein
hat: Sein Name ist Jahwe, was übersetzt werden kann mit: "Ich bin, der
ich bin". Das heißt doch nicht zuletzt: Gott hat seine Identität
in sich selbst. Er lässt sie sich nicht von andern Personen definieren.
Da es sich hier wie gesagt um ein Grundproblem
des Menschen schlechthin handelt, müssen wir die Frage nach der Lösung
zunächst von der Anthropologie, von der Frage nach dem, was den Menschen und
das Menschsein ausmacht, her angehen. Eine Reihe menschlicher Fragen klären
sich am Schöpfungsbericht. So auch die Frage der Identität.
Der Mensch wusste sich zunächst nach dem Bilde
Gottes geschaffen. Durch täglichen, direkten Umgang mit seinem Schöpfer
konnte er sich in Ihm wiedererkennen, sich mit Gott identifizieren. Er hatte gewissermaßen
seine Identität in Gott bzw. im Gottessohn. Weil das Bild Gottes in ihm noch
unbeschädigt war, konnte er sich Gott in völliger Unschuld und Unbefangenheit
nähern. Er wollte, was Gott wollte, und begehrte nichts über das hinaus,
was ihm von Gott gegeben war. Er wusste um seine Vollkommenheit und lebte in einem
ungebrochenen Vertrauen an seinen Schöpfer.
SCHEINBARER MANGEL
An dieser Stelle setzte die Schlange an. Sie pflanzte
einen Zweifel in das Herz des Menschen, Zweifel an seiner Vollkommenheit. Sie suggerierte
ihm ein: "Gott hat dir etwas vorenthalten."
"Da sprach die Schlange zur Frau: Ihr werdet
keineswegs des Todes sterben, sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon
esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was
gut und böse ist."
(1. Mose 3,4.5).
Von dem Moment an, wo der Gedanke geboren war,
dass ein Mangel vorhanden ist, sah Eva die Dinge um sich herum plötzlich mit
andern Augen. Bis heute wird ja unsere Wahrnehmung ganz wesentlich davon bestimmt,
was wir denken, erwarten und glauben, also von unserer Einstellung.
"Und die Frau sah, dass von dem Baum gut
zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend,
weil er klug machte. Und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann,
der bei ihr war, auch davon und er aß" (1. Mose 3,6).
Die Frucht, die sie ja nicht zum ersten Mal sah,
konnte nur deshalb ihr Begehren wecken, weil sie schon vorher Zweifel an ihrer
Vollkommenheit bekommen hatte, einen Mangel entdeckt zu haben glaubte. Ein Bedürfnis
setzt immer einen Mangel voraus. Dabei ist es nicht entscheidend, ob er objektiv
vorhanden ist oder nur vermutet wird. Im Prinzip genügt es schon, dass man
meint, uns fehle etwas zum Glück. Das ist ja der uralte Trick der Werbefachleute:
Erst reden sie uns einen Mangel ein, um uns dann das Produkt anzubieten, das diesem
Mangel abhelfen soll. Genauso hat es die Schlange mit den ersten Menschen gemacht.
Was hat der Sündenfall in Bezug auf das Problem
der Identität bewirkt? Durch ihren Unglauben und Ungehorsam brachten die ersten
Menschen genau das in ihr Leben, was sie zuvor fälschlicherweise vermuteten,
nämlich Mangel, den Verlust ihrer Vollkommenheit. Der Mensch wusste nun, was
gut und. böse ist. Vorher war er gut, aber er wusste es nicht. Man weiß
ja nur dann, was warm ist, wenn man auch weiß, was kalt ist. Man weiß
nur, was hell ist, wenn man auch die Dunkelheit kennt. Der Mensch wusste jetzt,
was gut ist, aber er war böse geworden. Gott wollte verhindern, dass der jetzt
böse Mensch ewig leben und sich so auch die Bosheit und Gottlosigkeit verewigen
sollten.
Daher vertrieb er ihn aus dem Garten Eden und ließ
den Zugang zum Baum des Lebens versperren: Ein Cherub mit einem flammenden Schwert
stellte sich davor. Mit dem Menschen wurde die ganze Schöpfung der Vergänglichkeit
unterworfen.
Wir haben gesehen, dass der Mensch durch den Sündenfall
seine Identität in Gott verloren hat. Seither erhebt sich für ihn die
bange Frage: "Wer bin ich?" Das ist die große Frage des Menschen.
Seit dem Fall lebt der Mensch ja immer noch mit der unbewussten Erinnerung an seine
frühere Vollkommenheit, aber auch mit dem Wissen um seine jetzige Unvollkommenheit.
Der gefallene Mensch kann seinen Wert und seine Sicherheit nicht mehr in seinem
Schöpfer finden. Daher muss er sich seiner Identität anderweitig vergewissern.
Adam und Eva suchten eine neue Identität.
Vor dem Fall hatten sie ihre Identität in Gott. Er war ihre Bedeutung. Er
war ihre Sicherheit, Es wurde ihnen eingeflüstert: "Ihr könnt eine
andere, bessere Identität finden, unabhängig von Gott." Indem Adam
und Eva auf dieses Angebot eingingen, brachten sie sich in die Lage, jetzt ihre
Bedeutung und Sicherheit tatsächlich außerhalb von Gott finden zu müssen.
Der Fall machte bald offenbar, dass sie einem Betrug aufgesessen waren: In sich
selbst fanden sie keine Identität, vielmehr verloren sie ihre Sicherheit und
ihre Bedeutung. Das wird deutlich an der Antwort, die sie Gott im Garten gaben,
als er sie suchte. Adam sagte: "Ich
hörte dich im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum versteckte
ich mich" (1. Mose 3,10).
Sie fürchteten sich, weil sie ihre Sicherheit verloren; sie versteckten sich,
weil sie ihre Bedeutung verloren hatten. Die aufgekommene Scham signalisiert ja
den erlittenen Bedeutungsverlust. Wären sie ihrer Vollkommenheit sicher gewesen,
hätten sie keinen Grund zur Scham gehabt. Es waren also Bedürfnisse entstanden,
die sie vorher nicht kannten.
SEHNSUCHT NACH BEDEUTUNG
Nun begann das, was den Menschen seither umtreibt:
Er sucht sein Bedürfnis nach Bedeutung und Sicherheit zu befriedigen. Er ist
bemüht, sich eine passable Identität außerhalb der Beziehung zu
Gott zu schaffen. Jean-Paul Sartre
schrieb in seinem Essay über Baudelaire: "Der
Mensch leidet nicht aus diesem oder jenem Grunde, sondern weil nichts auf dieser
Welt seine Sehnsucht stillen kann!" Sartre war sich wohl nicht klar darüber,
welch tiefe Wahrheit er damit aussprach. Eben nur etwas oder jemand außerhalb
dieser Welt ist dazu In der Lage, doch das wollte Sartre nicht wahrhaben.
Wir halten also fest: Unsere seelisch-geistlichen
Bedürfnisse nach Sicherheit und Bedeutung sind die Folge unseres durch den
Sündenfall erlittenen Identitätsverlustes. Sie sind nicht Teil der Schöpfung
Gottes, nicht eigentlich gottgewollt. Ihre Befriedigung auf horizontaler Ebene
ist nicht natürlich, sondern widergöttlich. Wir schaffen uns eine falsche
Identität, eine Identität ohne Gott!
In der Zeitung stand einmal folgender Artikel:
Lassie stieg als Schäferhund aus der Wanne. Als "falscher Hund"
hat sich dieser Tage ein vermeintlich reinrassiger Collie erwiesen, als sein Frauchen
dem erst kürzlich erworbenen jungen Vierbeiner ein reinigendes Bad verpasste.
Der junge Hund stieg als "Lassie" in die Badewanne und tauchte als Schäferhund
wieder auf - zurück blieb nur rot gefärbtes Badewasser. Die enttäuschte
- und vor allem getäuschte - Hundebesitzerin erstattete daraufhin Betrugsanzeige
gegen eine Salzburger Tierhandlung, Dort hatte sie für immerhin etwa 500 Euro
den "reinrassigen" Collie-Welpen erworben. Dieser Schäferhund hatte
eine falsche Identität. Das Bad brachte es an den Tag.
Wie war es bei uns? Durch das "Bad der Wiedergeburt"
wurde auch unsere falsche Identität abgewaschen. Die Frage ist aber: Was blieb
im Badewasser übrig? Sind unsere Lebenslügen, unser überhöhtes
Selbstbild, unser Image zurückgeblieben oder haben wir das alles durchs Bad
der Wiedergeburt hindurchgerettet? Kann es sein, dass es bei den meisten Christen
so ist? Zwar wird diese Identität etwas modifiziert, sie wird aber nicht völlig
aufgegeben. Sonst gäbe es ja bei Christen keine Probleme mit dem Selbstwert.
NEUE IDENTITÄT
Wie kann das Identitätsproblem beim Christen
zu einer echten und befriedigenden Lösung kommen? Wir haben gesehen, dass
der Mensch ursprünglich seine Identität in Gott bzw. in Christus hatte.
Damit wäre der Weg zur Lösung schon gewiesen. Durch die Wiedergeburt
ist Christus unser Leben geworden und damit wurde uns auch eine neue, ja, perfekte
Identität geschenkt. Dieses Neue müssen wir uns aber durch Glauben, zu
eigen machen. Durch Identifikation mit Christus können wir dahin kommen, dass
wir mit Paulus sagen können: "Ich
lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe
im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und
sich selbst für mich dahingegeben" (Galater 2,20). Indem wir unser Eigenleben loslassen und Christus unser
Leben sein lassen, finden wir unsere Sicherheit and unsere Bedeutung in ihm. In
ihm finden wir eine viel bessere Identität als alles, was wir uns bisher selbst
zurechtgemacht hatten. In Christus dürfen wir uns als Kinder des lebendigen
Gottes wissen - gerecht, heilig und vollkommen. In Christus bleibt kein Raum für
Minderwertigkeit oder Selbstzweifel. Unser Selbstwert darf sich nur eben nicht
auf unser natürliches Leben gründen, sondern auf Christus in uns. Unser
Fleisch ist zu nichts nütze. Daher sollen wir es ja auch am Kreuz entsorgen
(Galater 5,24). Unsere "Hoffnung
der Herrlichkeit" soll Christus
in uns sein (Kolosser 1,27). Ist denn eine bessere Identität denkbar?
Die Kirchengemeinde
Eysölden und das Gottesdienstteam wünscht eine gesegnete Woche!
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