65. "Leben live"-Gottesdienst, 11. Mai 2013
Der Gottesdienst wurde vorbereitet vom Gottesdienstteam. Die Predigt hielt Pfarrer Thomas Lorenz.

Die verwendeten Bibeltexte sind - soweit nicht anders angegeben - mit freundlicher Genehmigung des Verlags entnommen aus: Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers in der revidierten Fassung von 1984,
durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung.
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Themenpredigt: "Geh aus, mein Herz ..."

Es gilt das gesprochene Wort!



Paul Gerhardt und seine Zeit

Leid und Tod begleiten Paul Gerhardts gesamtes Leben. Er wird am 12. März 1607 im sächsischen Gräfenhainichen als Sohn eines Ackerbürgers geboren - mit 14 Jahren ist er bereits Vollwaise. Zwei Jahre nach seiner Hochzeit beerdigt er in Mittenwalde sein erstes Kind. Von fünf Kindern überlebt ein einziger Sohn den Vater, zwei Töchter und zwei Söhne sterben im Kindesalter. Auch beruflich steckt der dichtende Pfarrer Tiefschläge ein: 1651 wechselt er an die St. Nicolaikirche in Berlin und gerät dort in einen Bekenntnisstreit zwischen der lutherischen und der reformierten Geistlichkeit. Kurfürst Friedrich Wilhelm forderte von den Pfarrern, auf Polemik gegen die Reformierten zu verzichten. Doch Paul Gerhardt beruft sich auf die Freiheit des Gewissens - und verliert sein Amt. Er muss Berlin verlassen und geht als Pfarrer nach Lübben im Spreewald. Wieder ist der Wandel von Leid begleitet: Seine Frau Anna Maria stirbt nach nur 13 Ehejahren mit 46 Jahren. Mit seinem einzigen überlebenden Sohn Paul Friedrich bleibt er in Lübben. Paul Gerhardt stirbt am 27. Mai 1676 im Alter von 69 Jahren. Er hinterlässt 139 Gedichte.

Im Hintergrund seiner Lieder, die er in all dieser Zeit neben Amtshandlungen und Seelsorge dichtet, stehen aber nicht nur persönliche Krisen.

Deutschland vor 350 Jahren: Der Dreißigjährige Krieg ist gerade erst zu Ende. Das Land liegt in Trümmern, ganze Landstriche sind entvölkert und verwüstet. Die Überlebenden werden von Hunger und Not geplagt. Epidemien und Seuchen raffen weiterhin Tausende Menschen hin. Marodierende Banden ziehen umher und verbreiten Angst und Schrecken. Versprengte Reste jener Söldnerheere, die Mitteleuropa in ein riesiges Schlachtfeld verwandelt hatten.

Da erscheint im Jahre 1653 ein Gedicht des Pfarrers Paul Gerhardt aus Mittenwalde bei Berlin: "Geh aus, mein Herz, / und suche Freud / in dieser lieben Sommerzeit / an deines Gottes Gaben; / schau an der schönen Gärten Zier / und siehe, wie sie mir und dir / sich ausgeschmücket haben."

Zeilen eines weltfremden Traumtänzers oder blanker Zynismus? Schöpferlob in Zeiten der Apokalypse nach dem Motto "Hurra, wir leben noch"? Oder tatsächlich Trost für geschundene Seelen, Trotz gegen jede Resignation? Die Hoffnung, dass doch noch alles gut wird?

"Ach, denk ich, bist du hier so schön / und lässt du's uns so lieblich gehn / auf dieser armen Erden: / was will doch wohl nach dieser Welt / dort in dem reichen Himmelszelt / und güldnen Schlosse werden!"

Hoffnung auf einen Gott, der den Menschen zwar kein irdisches Leid erspart, die, die auf ihn ihr Vertrauen setzen, aber letztlich erlöst - das ist der Glauben, in dem Paul Gerhardt gegen die Depression anschreibt. Dieser Liederdichter hat dem Leid und der Sehnsucht seiner Zeitgenossen in einer Weise Ausdruck gegeben, die ihn über alle Zeiten überdauert.

Grund genug, einmal einen ganz besonderen "Leben live"-Gottesdienst wenige Wochen vor Beginn der kalendarischen "Sommerzeit" zu feiern, der sich ganz und ausschließlich diesem einen wohl bekanntesten Paul-Gerhardt-Lied widmet. Es ist weit mehr als ein harmloses Frühlings- oder Sommerlied, sondern geistliches Vollkornbrot.

Als Paul Gerhardt das Lied 1653 schrieb, hatte "Geh aus, mein Herz …" übrigens noch keine Melodie. Erst 13 Jahre später erhielt es von Johann Georg Ebeling, dem Kantor, mit dem Paul Gerhardt zusammenarbeitete, überhaupt eine Melodie, die sich aber - anders als fast alle Melodien zu Paul-Gerhardt-Liedern, die fast alle von Johann Crüger oder Johann Georg Ebeling geschaffen wurden - nie richtig durch-setzen konnte. Es ist eine ganz andere als die uns heute vertraute, nämlich die Melodie "Kommt her zu mir, spricht Gottes Sohn", die auch noch im letzten Gesangbuch stand.

Die Melodie, die wir heute singen, stammt von August Harder, der anfangs Theologie studierte, dann aber sich als Sänger, Pianist, Gitarrist, Komponist und Schriftsteller betätigte. Geboren wurde er 1775 in Schönerstedt (Sachsen), gestorben ist er 1813 in Leipzig. Irgendwann Anfang des 19. Jahrhunderts, also gut 250 Jahre, nachdem Paul Gerhardt den Text schrieb (!), schuf Harder die Melodie, die mit dem Text des Liedes zu einer schier unzertrennlichen Einheit verschmolzen ist. Dass es nicht die ursprüngliche Melodie sein kann, sieht man daran, dass sie in jeder Strophe die Wiederholung der letzten Zeile erforderlich macht, die Paul Gerhardts Gedicht noch nicht aufweist. Nicht zuletzt dieser Melodie hat Paul Gerhardts Sommerlied seine Beliebtheit zu verdanken. Es wird in Umfragen regelmäßig als eines der bekanntesten und beliebtesten Kirchenlieder genannt.


Gedanken zu den Strophen 8 - 15


8. Ich selber kann und mag nicht ruhn,
des großen Gottes großes Tun
erweckt mir alle Sinnen;
ich singe mit, wenn alles singt,
und lasse, was dem Höchsten klingt,
aus meinem Herzen rinnen.

Die ganze Schöpfung lobt ihren Schöpfer.

Die ganze Schöpfung zeigt mir: der große Gott tut Großes.

Wie unendlich groß ist das Universum, der Kosmos, die Welt!

Wie viel größer muss dann Gott sein!

Die Schöpfung ist voller Herrlichkeit!

Wie viel herrlicher muss der Schöpfer sein!

"Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat."

Gott tut nicht nur Großes im Großen und Ganzen der Welt.

Er tut auch Großes in meinem kleinen, mir oft so unbedeutend erscheinenden Leben.

Bei Gott, meinem Schöpfer, hat es einen unendlichen Wert, ist kostbar und wertgeschätzt.

Was hat Gott schon Gutes getan in meinem Leben?

Wo erkenne ich das "große Tun" Gottes in meinem Leben?

Nehme ich das große Tun des großen Gottes als selbstverständlich hin?

Meine ich gar, ich käme bei ihm zu kurz?

Nehme ich das große Tun des großen Gottes schweigend zur Kenntnis?

Meine ich, es stünde mir zu?

Erweckt das große Tun des großen Gottes auch meine Sinnen?

Meine Augen - mein Sehen?

Meine Ohren - mein Hören?

Meine Zunge - mein Schmecken? "Schmecket uns sehet, wie freundlich, der Herr ist."

Meine Nase - mein Riechen?

Meine Haut - mein Fühlen?

Oder singe ich mit? Stimme ich ein in den lauten und lautlosen Jubel der Schöpfung?

Nicht jedes Geschöpf hat eine Stimme, um Gott zu loben.

Aber mir Menschen, seinem Ebenbild, hat Gott eine Stimme gegeben.

Lasse ich das, was dem Höchsten, dem allmächtigen Gott, klingt, aus meinem Herzen rinnen?



9. Ach, denk ich, bist du hier so schön
und lässt du's uns so lieblich gehn
auf dieser armen Erden:
was will doch wohl nach dieser Welt
dort in dem reichen Himmelszelt
und güldnen Schlosse werden!

Ach, denk ich, bist du hier so schön und lässt du's uns so lieblich gehn auf dieser armen Erden!

So schön? So lieblich?

Eine Welt im Dreißigjährigen Krieg: Zerstörung, Gewalt, Hass, Elend, Seuchen, tausendfaches Leid, tausendfacher Tod.

Ein Welt persönlicher Schicksalsschläge: vier Kinder und die Ehefrau verloren. Amtsenthebung. Drei Jahre nicht Pfarrer sein dürfen. Drei Jahre nicht das Evangelium verkündigen dürfen.

So schön? So lieblich?

Es ist und bleibt eine "arme Erde".

Nach dieser Welt, dort in dem reichen Himmelszelt und güldnen Schlosse! -
dahin geht mein Verlangen, da ist meine Heimat, da will ich hin, diese zukünftige Stadt will ich suchen. Kein Bleiben ist auf Erden, das Ew'ge muss mir werden …

Wenn schon diese "arme Erde" so viel Schönes und Liebliches hat, wie viel schöner und lieblicher muss Gottes neue Welt, sein ewiges Reich, der Himmel sein!

10. Welch hohe Lust, welch heller Schein
wird wohl in Christi Garten sein!
Wie muss es da wohl klingen,
da so viel tausend Seraphim
mit unverdrossnem Mund und Stimm
ihr Halleluja singen.

Wie schön sind unsere Gärten, unsere Felder, die Schöpfung, die Natur!

Wie viel tausendmal schöner muss erst "Christi Garten" sein!

Tausende und Abertausende von Seraphim - das sind "die Brennenden, die Glühenden" -

Tausende und Abertausende von Engeln singen unaufhörlich Gott zur Ehre, ihr "Heilig, heilig, heilig ist Gott, der Herr der Heerscharen".

Sie singen ihr Halleluja, "Lobt den Herrn!"

11. O wär ich da! O stünd ich schon,
ach süßer Gott, vor deinem Thron
und trüge meine Palmen:
so wollt ich nach der Engel Weis
erhöhen deines Namens Preis
mit tausend schönen Psalmen.

Ich wünschte mir, ich wäre schon dort. Ich stünde schon vor Gottes Thron -
so Paul Gerhardt.

Habe ich auch diese Sehnsucht?

Kann ich mir wirklich vorstellen, dass Gottes Welt Realität ist?

Dass dieses Leben und diese Welt nicht alles ist?

Habe ich diese lebendige Hoffnung?

Trage ich die Gewissheit meines Errettetseins, meines Heils in meinem Herzen?

"Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben" (Johannes 3,36).

"Wer den Sohn hat, der hat das Leben" (1. Johannes 5,12).

"So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind" (Römer 8,1).


12. Doch gleichwohl will ich, weil ich noch
hier trage dieses Leibes Joch,
auch nicht gar stille schweigen;
mein Herze soll sich fort und fort
an diesem und an allem Ort
zu deinem Lobe neigen.

Gottes Namen erhöhen kann ich schon heute.

Schon heute Loblieder und Danklieder auf Gott singen.

Denn dazu hat mich Gott geschaffen: "zum Lob seiner Herrlichkeit" (Epheser 1,1ff).

In dieser Welt und solange ich in diesem vergänglichen Körper lebe,
bin ich noch nicht am Ziel,
habe ich noch nicht die uneingeschränkte Freiheit der himmlischen Herrlichkeit.

Trotzdem - es gibt keinen Ort, der nicht vom Lob Gottes erfüllt sein könnte und dürfte.

An diesem Ort, hier in der Kirche, in Gottes Haus
soll mein Herz sich zu Gottes Lobe neigen.

Aber nicht nur hier,
sondern "an allem Ort", überall und "fort und fort"
will ich Gott loben, ihm die Ehre geben.

Gott loben - das soll nicht nur eine Tätigkeit unter vielen sein,

sondern ein Leben lang meine Haltung,

ein Leben lang meine Lebenshaltung,

ein Leben lang mein Lebensstil.

Mit Worten und ohne Worte.

Mit allem, was ich bin und habe.

Mit allem, was ich tue und lasse.

Soli Deo Gloria. Allein Gott die Ehre!

Die Kirchengemeinde Eysölden und das Gottesdienstteam wünscht eine gesegnete Woche!