60. "Leben live"-Gottesdienst, 14. Juli 2012
Der Gottesdienst wurde vorbereitet vom Gottesdienstteam. Die Predigt hielt Pfarrer Thomas Lorenz.

Die verwendeten Bibeltexte sind - soweit nicht anders angegeben - mit freundlicher Genehmigung des Verlags entnommen aus: Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers in der revidierten Fassung von 1984,
durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung.
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Themenpredigt: "Echt sein - authentisch leben"

Es gilt das gesprochene Wort!



"Sonntagsgesicht" - so war der Titel des Anspiels, das wir eben gesehen haben. Der Pfarrer steht an der Kirchentür und verabschiedet die Gottesdienstbesucher an der Kirchentür.

"Ich kann nicht klagen, es gibt viel Jüngere, denen es viel schlechter geht", meint Herr Meier. "Oh, ganz gut, ich komm schon zurecht", so die Schülerin Lena. Herr Huber, der jüngere Mann, traut dem Pfarrer seinen Frust über das abgekrampfte Phrasendreschen in der Kirchenvorstandssitzung nicht zu sagen. Und Frau Schmidt meint im Blick auf die Vorbereitungen für das Frauenfrühstück: "Keine Sorge, das kriegen wir schon hin". Das alles sagten die Leute mit ihrem Sonntagsgesicht .

Was sie mit ihrem Alltagsgesicht zum Besten gaben, klingt ganz anders. Herr Meier: "Ach dieses Alleinsein - wirklich daran gewöhnen werde ich mich nie." Lena sieht sich als Niete und fragt sich selber: "Diese elende Mathearbeit, wie soll ich das nur schaffen?" Frau Schmidt stellt die Frage: "Warum bin eigentlich immer ich die Dumme?" Und auf einmal gesellt sich der Pfarrer dazu, den man hier gar nicht erwartet hätte, und klagt, dass er die Sonntagspredigt noch nicht habe und das Grußwort für den Bürgermeister, die alte Frau im Krankenhaus noch nicht besucht habe und eigentlich mehr Zeit für die Familie haben müsste.

Schaut euch doch noch einmal das Bild an, das ihr am Eingang bekommen habt. Da sieht man eine prächtige Fassade und meint, man käme zu einem noblen Haus, das beeindruckt und so richtig was hermacht. Und wenn man dann durch die Tür gegangen ist, dann steht man plötzlich in einer alten, schäbigen, heruntergekommenen Hütte, die alles andere als imponierend wirkt. Die schöne Fassade ist halt eine "falsche Fassade", man könnte auch sagen eine Lügenfassade, im Grunde genommen ist es nur eine Kulisse, wie in einem Film. Und diese schöne Fassade lässt eben überhaupt keine Rückschlüsse ziehen, wie es dahinter aussieht.

Nicht wenige Menschen leben so, wie man es auf dem Bild sieht. Sie wollen großen Eindruck auf ihre Mitmenschen machen, mehr scheinen als sie sind. Und im Laufe des Lebens kostet es immer mehr Kraft und Energie, diese Lügenfassade aufrechtzuerhalten. Denn diese Lügenfassade ist immer prächtiger geworden. Und vor lauter Kampf und Krampf um das Aufrechterhalten diese Fassade wird das eigentliche Leben, das sich hinter der Fassade abspielt, immer mehr vernachlässigt. Es dümpelt so dahin. Dabei wäre es das echte Leben doch wert, dass man da hinein etwas investiert, dass man nicht bloß so dahinlebt, sondern zielorientiert lebt, klare Werte hat, die einem wichtig sind, für die es sich zu leben lohnt. Und diesem wahren Leben, dem eigentlichen Leben, dem echten Leben erweist die mühevolle und notdürftige Fassadeninstandhaltung einen Bärendienst.

Wenn wir von "echt sein" und "authentisch leben" reden, dann reden wir von ganzheitlichem Leben. Auf das Bild bezogen heißt das: Entweder ist unser Leben tatsächlich so vorzeigemäßig, so imponierend, dann darf es aber nicht nur die Fassade sein, sondern dann muss es auch das ganze Lebenshaus sein. Und wenn unser Leben armselig ist wie die heruntergekommene Hütte, dann muss man sich ja nicht mit der Hütte abfinden. Auch aus der Hütte lässt sich etwas machen, oder man kann sie abreißen und ein neues Lebenshaus bauen. Immer aber ganzheitlich, immer echt, immer authentisch. Und "authentisch" meint ja: "echt; den Tatsachen entsprechend und daher glaubwürdig".

Ein Mensch lebt authentisch, wenn sein Handeln nicht durch äußere Einflüsse bestimmt wird, sondern in der Person selbst begründet liegt.

Die Sozialpsychologen Michael Kernis und Brian Goldman unterscheiden vier Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit man sich selbst als authentisch erlebt:

Bewusstsein - Ein authentischer Mensch kennt seine Stärken und Schwächen ebenso wie seine Gefühle und Motive für bestimmte Verhaltensweisen. Erst durch diese Selbstreflexion ist er in der Lage, sein Handeln bewusst zu erleben und zu beeinflussen.

Ehrlichkeit - Hierzu gehört, der realen Umgebung ins Auge zu blicken und auch unangenehme Rückmeldungen zu akzeptieren.

Konsequenz - Ein authentischer Mensch handelt nach seinen Werten. Das gilt für die gesetzten Prioritäten und auch für den Fall, dass er sich dadurch Nachteile einhandelt. Kaum etwas wirkt verlogener und unechter als ein Opportunist.

Aufrichtigkeit - Authentizität beinhaltet die Bereitschaft, seine negativen Seiten nicht zu verleugnen.

Eine als authentisch bezeichnete Person wirkt besonders "echt". Sie vermittelt ein Bild von sich, das beim Betrachter als real, urwüchsig, unverbogen, ungekünstelt wahrgenommen wird.

Ja, es geht um die Übereinstimmung zwischen Davor und Dahinter, zwischen Außen und Innen.

Jesus fordert uns auf echte Menschen zu sein. Wenn ich heute Jugendliche frage, was ihnen an erwachsenen Menschen wichtig ist, dann sagen sie oft: das Wichtigste ist, dass dieser Mensch authentisch ist. Jugendliche merken schnell, wenn das Innen und Außen von einem Menschen nicht übereinstimmen. Der starke Wunsch von Jugendlichen nach Echtheit zeigt, wie selten und auch schwierig es ist, dies zu leben.

Erich Fromm (1900-1980), ein Philosoph und Psychoanalytiker, sagt dazu in seinem Buch "Authentisch leben": "Wir finden nur dann zu einem glücklichen und erfüllten Leben, wenn wir authentisch leben." Das geschieht, "wenn wir aus uns selbst heraus leben und Entscheidungen treffen, und nicht bloß die Erwartungen von außen erfüllen."

Das ist eine große Anforderung an uns: wie oft passen wir uns an, ziehen Masken an oder verhalten uns so, wie es von der Gesellschaft oder einer bestimmten Situation erwartet wird.

Es ist klar, in vielen Bereichen braucht es eine Anpassung an Regeln, damit das Zusammen Leben und Arbeiten gelingt. Aber die Frage bleibt, wo habe ich Räume, in denen ich ganz mich selber bin und sein kann und darf. Dies immer wieder zu erleben ist wichtig, da ich sonst den Kontakt zu mir verliere und dann mehr gelebt werde, als dass ich selber lebe.

Kommen wir nochmals auf Jesus zurück: Jesus ist der absolut echte Mensch schlechthin. Gerade weil er Gott und Mensch zugleich ist, gibt es bei ihm die völlige Übereinstimmung von innen und außen. Mit seiner Lehre eckt er an, aber es ist sein innerer Auftrag, den er erfüllen will. Er ist so echt und konsequent, dass er sogar seinen Tod in Kauf nimmt. Denn er weiß, die Echtheit wird gewinnen. Jesus ist für uns das beste Vorbild für authentisches Leben.

Das Gegenteil von authentischem Leben ist die Heuchelei. Heuchelei bedeutet, dass wir uns selber gegenüber die Ungereimtheiten in unserem eigenen Leben nicht eingestehen. Das ist Verleugnung. Es ist, wie die Bibel es bezeichnet, einen Splitter aus dem Auge des anderen ziehen zu wollen, während man selber einen Balken im eigenen Auge hat. Integrität beginnt mit Transparenz.

Menschen haben ein enormes Bedürfnis nach Authentizität und Echtsein. Sie, die in den Medien jeden Tag mit einer riesengroßen "Scheinwelt" konfrontiert werden, die sie selber längst entlarvt haben, sehnen sich danach, so angenommen zu sein, wie sie sind. Nicht so tun zu müssen "als ob", sondern mit ihren Fehlern offen umgehen zu können. Wir suchen nach dieser Art Mensch, nach diesem Lebensstil.

"Etwas zu sagen und es dann auch zu tun" gehört zu den Eigenschaften, die andere am meisten bewundern!

Und eigentlich sollte gerade das Christen leicht fallen. Denn Transparenz bedeutet im Grunde genommen: "Wir sind alle gefallene Menschen, die Gott ganz dringend für ihr Leben brauchen!" Transparenz bedeutet nicht einfach zu versuchen, sich selbst richtig zu verhalten, sondern unser Leben ehrlich zu leben. Dass wir selber mit den Problemen, die unsere Lebensführung verursacht hat, offen umgehen.

Paulus sagt in Römer 3,23: "Es gibt keinen Unterschied zwischen den Menschen. Darin sind sich alle gleich: Alle haben gesündigt und können Gottes Herrlichkeit nicht aus eigener Kraft erlangen!" Menschen, die mit Jesus leben, unterscheiden sich überhaupt nicht von Menschen, die Jesus noch nicht kennen. Sie sind Sünder - wir auch. Sie können sich den Himmel nicht verdienen - wir auch nicht. Das einzige, was uns von ihnen unterscheidet, ist: Wir haben jemanden, der uns vergeben hat. Und weil wir Jesus kennen, der uns vergeben hat, haben wir einen neuen Weg gefunden, wie wir mit unseren Fehler, unserer Sünde und unseren Schwächen umgehen können.

Und wenn wir andere Menschen für Jesus gewinnen wollen, müssen wir lernen, auch offen zu unseren Kämpfen, unserem Versagen und unseren Schwierigkeiten zu stehen. Denn was uns glaubwürdig macht, ist nicht, dass wir alles im Griff haben. Sondern wenn wir unseren Freunden zeigen, dass wir genau wie sie auch viele Dinge nicht im Griff haben, aber dank Jesus Kraft haben und Wege finden, diese Dinge zu überwinden.

Menschen heute suchen nicht "perfekte Vorbilder", damit sie zum Glauben an Jesus finden. Sie suchen ehrliche, echte Vorbilder. Menschen, die transparent sind und zu ihren Schwächen und Kämpfen stehen …

Die Kirchengemeinde Eysölden und das Gottesdienstteam wünscht eine gesegnete Woche!