56. "Leben live"-Gottesdienst, 26. November 2011
Der Gottesdienst wurde vorbereitet vom Gottesdienstteam. Die Predigt hielt Pfarrer Thomas Lorenz.

Die verwendeten Bibeltexte sind - soweit nicht anders angegeben - mit freundlicher Genehmigung des Verlags entnommen aus: Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers in der revidierten Fassung von 1984,
durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung.
© 1999 Deutsche Bibelgesellschaft Stuttgart.
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Themenpredigt: "Mutmacher gesucht"

Es gilt das gesprochene Wort!



"Adler, du bist ein Adler. Du gehörst dem Himmel und nicht dieser Erde. Breite deine Schwingen aus und fliege!" Das war der entscheidende Satz. Und doch flog der Adler noch nicht. Erst als der Mann den Adler direkt in die Sonne schauen ließ, "breitete er seine gewaltigen Flügel aus, erhob sich mit dem Schrei eines Adlers, flog höher und höher und kehrte nie wieder zurück".

Hätte es den Mutmacher in der Gestalt des "naturkundigen Mannes" nicht gegeben, der Adler würde noch immer auf dem Hühnerhof spazieren und Körner picken. Der Mann, der den Adler im Wald gefunden hatte, kam gar nicht darauf, den Adler seiner eigentlichen Bestimmung zuzuführen. Im Gegenteil! Er war sogar stolz darauf, dass es gelungen ihm ist, einen Adler zu einem Huhn zu erziehen. Voller Überzeugung und einer Spur von Überlegenheit meinte er: "Er ist jetzt kein Adler mehr, sondern ein Huhn, auch wenn seine Flügel drei Meter breit sind."

Es ist faszinierend, den "König der Lüfte" in seinem wahren Element zu sehen. Er gehört nicht an den Boden, sondern in den Himmel. Auch wenn er anders "sozialisiert" (aufgezogen) worden ist, und mit den Hühnern Körner gepickt hat, sodass seine eigentliche Bestimmung nahezu aus dem Blick geriet! Dennoch hat er "das Herz eines Adlers", und das ist anders gepolt. Nicht so Erd-verhaftet, mit Blick nach unten, sondern vielmehr himmelwärts gerichtet!

"Trachtet nach dem, was droben ist!" werden wir in der Bibel aufgefordert, und ermutigt (Kolosser 3,2). Menschenkinder sind keine Geschöpfe "für den Hühnerhof". Im Glauben an Jesus sind sie zu Himmlischem berufen! Ich meine damit nicht, dass sie vom Boden abheben sollen, um zu schweben - frei wie der "König der Lüfte". Die Erdverbundenheit und die Schwerkraft des Lebens würde uns gut am Boden halten und uns zeigen, dass die Flügel erst noch weiter wachsen müssen.

Aber der Boden ist nicht unsere letzte Bestimmung. Wohl sind wir so "sozialisiert" und "picken" von Kindesbeinen an unsere Körner, wie alle um uns herum. Aber im Herzen schlummert - wie beim jungen Adler - noch eine andere Sehnsucht! Gott hat uns "die Ewigkeit ins Herz gelegt" (Prediger 3,11). Wenn das durch Leben und Erziehung nicht ganz verschütt gegangen ist, und - wie in der Geschichte vom Adler - frei gelegt wird, dann können wir unsere göttliche Berufung erkennen:
Bodenhaftung im Natürlichen, Himmelwärts im Geistlichen. Die eingeschränkte Gesinnung wird erweitert. Jesus, der alles Erdige und Schwere durchlitten hat, bis zum Kreuz, eröffnet uns durch Auferstehung und Himmelfahrt einen neuen Horizont.

Ohne Welt-fremd zu werden, soll unser Herz nun dahin gerichtet sein. Weil Jesus "drüber steht", und alles im Blick hat, und von oben her lenken kann. Er hat die "Adler-Perspektive", und es entgeht ihm nichts. Wie der "König der Lüfte" mit seinem scharfen Blick alles wahr nimmt, so sieht auch Jesus, was "da unten" los ist, was uns bewegt oder beschwert. Von oben aus sieht er die Dinge immer noch mal anders, und in einem helleren Licht. Und kann zurecht rücken, und Hilfe schicken, und es in seinem himmlischen Plan einordnen.

Der "Hühnerhof" entspricht nicht dem Wesen unserer Seele. In Jesus sind wir zu Höherem berufen!

"Mutmacher gesucht" heißt unser heutiges Thema. Das Gegenteil von Mutmacher ist der "Miesmacher". Das sind Leute, die mit sich und der Welt unzufrieden sind und mit ihrer Laune andere mit nach unten ziehen. Mutmacher dagegen sind Menschen, die wissen, was ihre Bestimmung ist und andere Menschen dazu bringen, ihre eigene Bestimmung zu entdecken.

In einer Zeitungsbeilage zum Thema "Beruf und Karriere" war kürzlich unter der Überschrift "Loben kann Wunder wirken" zu lesen: "Gelegentlich auch mal ein gutes Wort hören, das steht auf der Wunschliste der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ganz oben. Was auf eine entsprechende Unterversorgung schließen lässt, sagt die Expertin für Führungskräfteentwicklung Christine Scheitler. Führungskräfte handelten in der Regel nach dem Motto: Wenn ich nichts sage, ist es in Ordnung. Und die Praxis zeige es tagtäglich: "Das berühmte ‚gute Wort' bewirkt meist erheblich mehr als all die hochgestochenen Leistungsanreizsysteme."



Eine Studie aus dem Jahr 2008 zeigt: Jeder fünfte Arbeitnehmer erklärt, dass nur für gute Arbeit Lob und Anerkennung ausgesprochen wird. Fast sieben von zehn Beschäftigten beanstanden, dass bei der Arbeit das Interesse an ihnen als Mensch fehlt. Drei Viertel der Arbeitnehmer kritisieren, dass ihnen kein regelmäßiges Feedback über persönliche Fortschritte bei der Arbeit gegeben wird.

Werte und Wertschätzung, Anerkennung und Lob verkümmern immer mehr. Und das darin zum Ausdruck kommende sozialkompetente Führungsverhalten wird als weicher Wert angesehen und dementsprechend vernachlässigt.

Dagegen behauptet Michael Kastner, Professor für Organisationspsychologie an der Uni Dortmund: "Soziale Kompetenz […!] ist die Formel für diejenigen, die auf Dauer Erfolg haben wollen."

Diese Beobachtungen aus der Arbeitswelt gehen so weit, dass die Führungskräfteentwicklungsfachfrau Scheitler sagt: "Es mag banal klingen, aber wer nicht lobt, wird auch nicht geliebt. Und wo keine Liebe ist, ist auch keine wirkliche Bindung."

Geld allein bindet nicht. Ein gezahltes Gehalt ist rasch zu überbieten. Erheblich schwieriger wird es schon, die Qualität umsichtiger Führung und einer guten betrieblichen Atmosphäre zu überbieten. Wir unterschätzen die Wirkung dieser Qualität.

Wer nur durch Forderungen getrieben und nicht auch mal durch Lob und Anerkennung gezogen wird, erlischt früher oder später.

Wer nicht selber Chef ist, sondern auch in irgendeinem Betrieb, in einem kleinen oder großen Unternehmen angestellt, wer tagtäglich seiner Arbeit nachgeht, der kennt das. Der weiß und der hat das auch verinnerlicht, worauf wir Franken auch noch ein wenig stolz sind: "Ned g'schimpft ist g'nouch g'lobt." Eher lässt der Vorgesetzte, der Chef eine Extrazulage über den Tisch wachsen als Lob und Anerkennung.

Und deshalb wird ja auch in allen Arbeitsverhältnissen bis hinauf zu unseren Fußballmillionären bei der Frage nach der Unternehmensbindung letztlich nur über Geld gesprochen.

Wenn dann die Beobachtung stimmt, könnte sich das am Ende als kurzfristig erweisen. Nur - wie sagt Frau Scheitler? "Wo keine Liebe ist, ist auch keine wirkliche Bindung. Geld allein bindet nicht."

Gehen wir einen Schritt weiter.

Genau dieselbe Problematik kennen viele unter uns aus ihrem privaten Leben, aus der Beziehung zum Partner, zu den Kindern, in der Gemeinde, zu sich selbst und aus der Beziehung zu uns nahe oder auch weniger nahestehenden Menschen.
Wir sind von Haus aus nicht die großen Mutmacher, sondern Spezialisten im Aufspüren von Schwachstellen und Defiziten.

Der erste Satz unseren Kindern gegenüber ist höchst selten ein positiver, anerkennender, wertschätzender. Meist heißt es, wenn die Kinder nach Hause kommen: "Was hast Du nicht gemacht? Was hast Du vergessen? Wieder so eine schlechte Arbeit? Und, und, und. Und am Tisch heißt es: "Setz dich ordentlich hin, schling das Essen nicht so runter, nimm Messer und Gabel, räum endlich mal dein Teller auf."

Eine unserer wichtigsten Lebensaufgaben besteht darin, ein Mensch zu werden, der andere Menschen prägt, fordert und ermutigt. Ein Mensch, der in anderen Leben weckt und ihnen zur Blüte verhilft.

Paulus schreibt an die Epheser (2,10 HfA): "Gott hat etwas aus uns gemacht: Wir sind sein Werk, durch Jesus Christus neu geschaffen, um Gutes zu tun. Damit erfüllen wir nur, was Gott schon im Voraus für uns vorbereitet hat."

Auf ihn dürfen wir unser Vertrauen setzen. Er ist "meine Hoffnung und meine Freude".

Gott weist uns eine verantwortungsvolle Rolle zu. Er gibt es uns ein Mandat, einen Auftrag, Vollmacht, Recht, Verantwortung für ein bestimmtes Gebiet oder eine bestimmte Sache.

Die Bibel weiß um mindestens fünf solcher Mandate. Nicht zuletzt Dietrich Bonhoeffer hat daran neu erinnert.

Die Schöpfung , die Gott in 1. Mose 2,15 dem Menschen überträgt, mit dem konkreten Auftrag, sie zu bebauen und zu bewahren.

Das zweite Mandat ist die Familie. Und diese Aufgabe ist nicht nur verheirateten Personen mit Kindern anvertraut. Das vierte Gebot, "Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren", hat mit dem Respekt und der Fürsorge für die Menschen zu tun, denen ich meine Existenz verdanke. Früher nannte man das Ganze auch "Generationenvertrag", heute sagt man Altersvorsorge und Pflegeversicherung dazu. Ersteres war meist noch finanzierbar. Und natürlich gehört dazu auch eine zweite Ebene: die Verantwortung gegenüber meinem Ehepartner und meinen Kindern. Und dabei ist die Priorität der eigenen Familie vor andere Verantwortungsbereiche zu beachten. Paulus schreibt seinem Freund Timotheus (1. Timotheus 3,5 GNB): "Wenn jemand seine eigene Familie nicht zu leiten versteht, wie kann er dann die Sorge für die Gemeinde Gottes übernehmen?"

Das dritte Mandat ist unser Verhalten im Staat, in dem wir leben, in der Kirche oder Gemeinde, der wir angehören. Es betrifft auch meine Aufgaben und Verantwortungen, die uns in einer Firma, in einem Verein oder in einer Partei übertragen sind. Und wer in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten Verantwortung für andere Menschen hat, für Mitarbeiter und Angestellte, weiß, welche Last so ein Mandat sein kann.

Beim vierten Mandat geht es um mich selbst. Ich trage Verantwortung für mein Leben, für Körper, Seele und Geist. "Behüte dein Herz mit allem Fleiß" mahnt uns der weise König Salomo im Buch der Sprüche (Sprüche 4,23). Und bei diesem Mandat geht es auch um meine persönliche Verantwortung vor Gott: "Du sollst den Herrn deinen Gott lieben, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft."

Und das fünfte und letzte Mandat ist meine Verantwortung dem Nächsten gegenüber - die Fortsetzung des vierten Mandats: "… und deinen Nächsten wie dich selbst." Und bei Menschen, die mir näher stehen, habe ich noch eine weiter reichende Verantwortung:

Gott gibt mir die Aufgabe, sie zu fördern, zu ermutigen, aufzubauen, weiterzubringen.

An die Gemeinde in Rom schreibt Paulus: "Ich bin aber, meine Brüder, im Blick auf euch überzeugt, dass auch ihr selbst voller Güte seid; erfüllt mit aller Erkenntnis, fähig auch einander zu ermahnen.

Und dieses "Ermahnen", das ein Schlüsselwort im neuen Testament ist, das meint nicht zuerst und erst recht nicht ausschließlich dieses "mit erhobenem Zeigefinger" dem andern seine Grenzen aufzeigen, ihn zurechtweisen und was auch immer wir darunter verstehen.

Paulus meint etwas anderes damit. Er sagt: Ich glaube, dass ihr inzwischen in eurem Glauben an Jesus Christus so weit fortgeschritten seid, dass ihr einander in solchen Fragen liebevoll und mit Güte begegnen könnt, fähig, auch einander zu ermahnen.

Dieses Wort parakaleîn ("ermahnen") steckt auch in dem griechischen Wort, das im Neuen Testament für den Heiligen Geist verwendet wird: paráklätos (Johannes 14,26; 15,26; 16,7). Der Heilige Geist ist eben nicht nur Ermahner, sondern dieses Wort bedeutet auch: ein Ermutiger, ein Mutmacher (!), ein Beistand, ein Anwalt, ein Fürsprecher, ein Ratgeber und ein Tröster.

Paulus verwendet also bewusst das Wort, welches das Wesen und die Aufgabe des Heiligen Geistes umschreibt, um uns klar zu machen, wie wir miteinander umgehen sollen. Und er sagt damit: "Obwohl ihr in eurer Gemeinde Schwierigkeiten habt (und in welcher Gemeinde gibt es nie Schwierigkeiten), traue ich euch zu, dass ihr die Voraussetzung dazu habt, einander dasselbe zu sein, was der Heilige Geist für uns ist: ermutigende Ermahner, Ratgeber, Tröster, die einander beistehen und einander fördern.

"Mutmacher gesucht!" heißt das Thema heute.

Ja, das brauchen wir. Und zwar in jedem Bereich, in dem wir Verantwortung tragen.

Mutmacher brauchen wir, die die ihnen übertragene Verantwortung im Betrieb, im Verein, in der Partei nicht um der Karriere willen wahrnehmen, sondern in der Verantwortung vor Gott und vor den Menschen, die ihnen anvertraut sind.

Und für manche Erkenntnis bräuchten wir nicht einmal die Bibel: Wie sagt die Führungskräfteentwicklungsfachfrau Scheitler: "Wo keine Liebe ist, ist auch keine wirkliche Bindung."

Mutmacher im ganz persönlichen Bereich. Die den Mut haben, für ihr Herz und ihre Seele zu sorgen. Dafür muss man andere Dinge an die zweite Stelle oder noch weiter nach hinten rücken.

Mutmacher, "die den Herrn ihren Gott lieben, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all ihrer Kraft."

Mutmacher, die deshalb auch ihren Nächsten lieben wie sich selbst, weil sie selbst Geliebte sind.

Mutmacher gesucht. Ja, Mütter und Väter, die nicht immer nur sehen, was ihre Kinder wieder falsch gemacht haben, was immer noch nicht aufgeräumt ist, was immer noch nicht funktioniert und wo sich immer noch nichts verändert hat. Manchmal denke ich, wenn Gott so mit uns umgehen würde, wie wir manchmal mit unseren Kindern, wir hätten bei ihm nicht viel zu lachen.
Und solche Mutmacher brauchen wir auch in unseren Kindergärten und Schulen. Lehrerinnen und Lehrer, die nicht nach Lücken suchen und für Nicht-Wissen Noten verteilen, sondern für das, was Kinder können - und die das stärken.

Eine Beratungsfirma, die im Bereich diakonischer Einrichtungen tätig ist, schreibt auf ihrer Homepage im Internet: "Wir schauen auf die Fähigkeiten, nicht auf den Mangel." Wenn Sie Berater suchen, die in Defiziten und Schwachstellen herumstochern, sind wir nicht die Richtigen.

Sind wir Berater, die in Defiziten und Schwachstellen herumstochern? Oder Ermutiger, Förderer, Mutmacher, die auf die Fähigkeiten anderer schauen und nicht auf den Mangel? Und die so auch auf die eigenen Fähigkeiten schauen und nicht auf den eigenen Mangel?

Hören wir uns noch drei praktische Beispiele von Mutmachern an, die es in jedem Bereich unseres Lebens gibt

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Weil Gott uns immer wieder neuen Mut gibt, dürfen auch wir Mutmacher sein!

Die Kirchengemeinde Eysölden und das Gottesdienstteam wünscht einen gesegneten 1. Advent!