Themenpredigt: "Warum?"
Es gilt das gesprochene Wort!
1 Ist Gott gerecht?
1.1 Die Katastrophen von Lissabon und Japan und die
Frage nach der Gerechtigkeit Gottes
Samstag, der 1. November 1755. In Portugal bebt die
Erde, wodurch in Verbindung mit einem Großbrand und einem Tsunami die portugiesische
Hauptstadt Lissabon nahezu vollständig zerstört wird. Das Beben erreicht
auf der Richterskala eine ge-schätzte Stärke von etwa 8,5 bis 9. Mit bis
zu 100.000 Todesopfern gehört es zu den verheerendsten Naturkatastrophen der europäischen
Geschichte.
"Warum?", so wird gefragt. Wie kann ein allmächtiger
und gütiger Gott ein so gewaltiges Unglück wie das Erdbeben von Lissabon
zulassen? Warum hatte das Beben die Hauptstadt eines streng christlichen Landes getroffen,
das sich auch für die Verbreitung des Christentums in der ganzen Welt eingesetzt
hatte? Und warum überdies am Festtag Allerheiligen? Und warum waren zahlreiche
Kirchen dem Beben zum Opfer gefallen, aber ausgerechnet das Rotlichtviertel Lissabons
verschont geblieben?
Die Frage nach dem Leid in der Welt und der sich daraus
anschließenden Frage nach der Gerechtigkeit Gottes hatte schon vorher der deutsche
Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) die "Theodizeefrage" genannt.
Für viele ist das Leid in der Welt ein Beleg dafür,
dass es keinen Gott geben kann, denn sonst hätte Gott dieses Leiden verhindert.
Insbesondere nach dem Holocaust schlussfolgerte man eine "Gott-ist-tot-Theologie"
(ein Widerspruch in sich selbst!), denn Gott, wenn es ihn denn gäbe, hätte
den Holocaust verhindern müssen.
Wiederum andere sagen, dass sie mit einem scheinbar
grausamen und geradezu sadistischen Gott nichts zu tun haben wollen. Die Frage wurde
bereits in der Antike in folgende Worte gefasst:
"Entweder will Gott die Übel beseitigen
und kann es nicht:
Dann ist Gott schwach, was auf ihn nicht zutrifft.
Oder er kann es und will es nicht:
Dann ist Gott missgünstig, was ihm fremd ist.
Oder er will es nicht und kann es nicht:
Dann ist er schwach und missgünstig zugleich,
also nicht Gott.
Oder er will es und kann es, was allein für
Gott ziemt
Woher kommen dann die Übel und warum nimmt
er sie nicht hinweg?"
Freitag, der 11. März 2011. Seebeben und Erdbeben
der Stärke 9, Tsunami, tödliche radioaktive Strahlen. Der Tag, an dem Tag
unsägliches Leid über Japan und über unzählige Menschen kam. Eine
Katastrophe, die die ganze Welt erschüttert hat und in ihren bis heute überhaupt
noch nicht absehbaren Folgen die Welt in Atem hält.
Warum? Warum geschah dies? Wie ist dieses Leiden vereinbar
mit der Existenz eines liebenden und barmherzigen Gottes? Warum hat Gott dieses Leid
nicht verhindert? Warum hat Gott dieses Leid zugelassen?
Wenn Katastrophen wie in Japan passieren, wird fast
reflexartig die Frage laut: Wie konnte Gott so etwas zulassen? Der Aufruf, für
Japan zu beten, wird im Internet so kommentiert: "Gäbe es einen allmächtigen
Gott, dann hätte er die Katastrophe verhindern können". Viele finden
es zynisch, dass man einen Gott anbetet, der so etwas zulässt.
Der christliche Journalist Jörn Schumacher schreibt
dazu: "Ist es nicht seltsam, dass man vor allem in Zeiten spektakulärer Katastrophen
nach Gott fragt? Wenn jemand erschütternde Bilder in den Abendnachrichten sieht
und den da oben' dafür verantwortlich macht, fragt der sich auch, wenn er
die Natur betrachtet, den Sternenhimmel oder einen Sonnenuntergang: Wie konnte Gott
das zulassen? Oder sind diejenigen, die nun Gott anklagen, dieselben, die Gott ansonsten
gerne aus der Welt, aus der Schöpfung herauslassen?"
1.2 Das persönliche Leid
Die Frage nach dem Leid ist für uns alle keine
theoretische Frage, weil sie uns eben auch persönlich betrifft. Auch die Bibel
liefert uns keine philosophische Abhandlung über die Theodizeefrage, sondern sie
nimmt uns mit hinein in das persönliche Leiden von Menschen, die dieses Leid mit
Gott durchlitten haben:
"Wenn man doch meinen Kummer wägen und
mein Leiden zugleich auf die Waage legen wollte! Denn nun ist es schwerer als Sand
am Meer; darum sind meine Worte noch unbedacht. Denn die Pfeile des Allmächtigen
stecken in mir; mein Geist muss ihr Gift trinken, und die Schrecknisse Gottes sind
auf mich gerichtet" (Hiob 6,2)
.
Wir alle haben uns in unterschiedlichen Lebensphasen
mit eigenem Leid auseinanderzusetzen, die einen mehr, die anderen weniger. Wenn es
um die Frage des Leides geht, dann gibt es keinen neutralen Zuschauerplatz, dann sind
wir alle betroffen. Wir wollen einerseits die große Frage nach der "Gerechtigkeit
Gottes" im Blick haben, andererseits aber auch die eigene und persönliche
Situation. Beide Fragestellungen wollen wir nun im Licht der biblischen Botschaft betrachten.
2 Woher kommt das Leid?
2.1 Leid als Folge des Sündenfalls
2.1.1 Von der heilen zur vergänglichen Welt
Wir müssen bedenken, dass die ursprüngliche
Schöpfung eine Schöpfung ohne Leid, ohne Schmerz, ohne Tod gewesen ist. Gott
hatte die Schöpfung in seiner unendlichen Liebe, Weisheit und Allmacht, als eine
"heile Welt" geschaffen, die er als "gut" und als "sehr gut"
bezeichnet hat. Adam und Eva verstießen gegen das Gebot Gottes und aßen
die Frucht vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen. In der Folge des Sündenfalls
kamen Tod, Zerfall, Schrecken, Angst und Not in die Schöpfung. Da der Mensch die
Krone der Schöpfung ist, wurde mit seinem Fall auch die gesamte Schöpfung
den schrecklichen Folgen des Sündenfalls ausgesetzt: "Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit - ohne
ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat -, doch auf Hoffnung"
(Römer 8,20). Alles Leiden in
dieser Welt hat in der Verführung des Menschen durch Satan und dem Sündenfall
ihre erste Ursache. Die Theodizeefrage wird nur dann richtig beantwortet, wenn wir
den biblischen Bericht vom Sündenfall mit einbeziehen. Es ist wie das Hemd, das
ich nur dann richtig zuknöpfe, wenn ich den ersten Knopf in das richtige Knopfloch
einführe. Wenn ich falsch anfange, werde ich auch falsch enden.
2.1.2 Eine leidvolle Erkenntnis
Gott hatte verboten, vom Baum der "Erkenntnis des Guten und des Bösen" zu essen (1. Mose 2,17). Die Schlange verführte Eva,
indem sie sagte: "Gott weiß:
an dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie
Gott und wissen, was gut und böse ist" (1. Mose 3,5). Ausdrücklich wird erwähnt, dass gerade dieses Wissen
Eva lockte. Sie aß davon, weil der Baum eine ganz bestimmte Erkenntnis verlieh,
die nur Gott besaß. Es war nicht irgendein Wissen und nicht irgendeine Erkenntnis,
sondern die Erkenntnis des "Guten und des Bösen". Gottes Schöpfung
war eine gute Schöpfung, so dass Adam und Eva sehr wohl wussten, was gut ist.
Das "Böse" kannten sie nicht. Dieses Wissen hatte Gott seinen Geschöpfen
aus guten Gründen vorenthalten und ebenfalls mit gutem Grund ein strafbewehrtes
Verbot ausgesprochen. Der Mensch wollte das Böse kennenlernen und widersetzte
sich damit dem klaren Gebot Gottes. In der Folge lernte der Mensch das Böse kennen,
indem er es selbst tat und selbst durchleiden musste. Evas Wunsch wurde erfüllt,
denn wir wissen heute was das Böse ist. Wir kennen die Bosheit unseres Herzens,
wir kennen die abgründige Bosheit der Menschheit, wir kennen Verrat, Betrug, Neid,
Hass, Grausamkeit, wir haben in die Abgründe menschlicher Bosheit geblickt, haben
die Bilder aus den Konzentrationslagern und von den Schlachtfeldern dieser Erde vor
Augen. Die Erkenntnis des Bösen haben wir erlangt und damit Leid, Schrecken, Not
und Elend über uns gebracht. Wir verursachen das Böse und werden selbst Opfer
der Bösartigkeit anderer.
2.1.3 Gott trifft keine Schuld
Es muss an dieser Stelle klar gesagt werden: Gott trifft
in dieser Sache keine Schuld. Wenn Eltern ihr Kind ausdrücklich warnen, die ungesicherten
Gleise in der Nachbarschaft zu betreten und das Kind um die tödlichen Folgen weiß,
die das Betreten der Gleise nach sich ziehen kann, dann wird keiner den Eltern einen
Vorwurf machen können, wenn das Unglück eintritt. Wir haben uns das Leiden
in dieser Welt selbst zuzuschreiben. In unserer Überheblichkeit suchten wir eine
Erkenntnis, die Gott uns aus guten Gründen vorenthalten wollte. Wir wollten diese
Erkenntnis wider besseres Wissen und müssen sie nun auf schwerem Wege in einer
von Gott abgefallenen Welt leidvoll erfahren. Die Schuld am Elend dieser Welt trifft
zuerst Satan, den Lügner und Mörder von Anfang an (Johannes 8,44) und in
zweiter Linie den Menschen, der sich von Satan verführen ließ. Gott trifft
sie nicht.
2.2 Leid als Folge menschlicher Bosheit
"Herr, warum stehst du so
ferne, verbirgst dich zur Zeit der Not? Weil der Gottlose Übermut treibt,
müssen die Elenden leiden; sie werden gefangen in den Ränken, die er
ersann" (Psalm 10,1.2).
Eine der wesentlichen Quellen menschlichen
Leidens ist die Bosheit des Menschen. Der Gottlose treibt seinen "Übermut"
und quält damit seine Mitmenschen. Kain brachte den Tod über seinen Bruder
Abel und so durchzieht es die gesamte Menschheitsgeschichte. Der Psalmbeter weiß
sehr wohl um die Bosheit des Gottlosen, doch er weiß auch um die Fragen, die
das "Nichteingreifen" Gottes aufwirft: "Herr, warum stehst du so ferne, verbirgst dich zur Zeit der Not?"
Auch wenn ich das Leid dem bösen
Menschen zuordnen kann, stellt sich die Frage nach der gefühlten "Untätigkeit
Gottes". Diese Frage trieb die Menschen auch nach Auschwitz um. Menschen trieben
Menschen in Gaskammern und doch stellte und stellt sich die Frage nach Gottes Zulassung.
2.3 Leid als Folge persönlicher Schuld
"Es haben mich umgeben Leiden
ohne Zahl. Meine Sünden haben mich ereilt; ich kann sie nicht überblicken.
Ihrer sind mehr als Haare auf meinem Haupt, und mein Herz ist verzagt" (Psalm 40,13).
David stellt hier eigenes persönliches
Leiden in Zusammenhang mit begangener Schuld. Ohne Frage gibt es hier direkte Verbindungslinien.
David hatte die Ehe gebrochen und Uria ermorden lassen. In der Folge erlebt er selbst
Leid als erzieherisches Strafgericht Gottes: "Siehe, ich will Unheil über dich kommen lassen aus deinem eigenen
Hause" (2. Samuel 12,11). Trotz
seiner Umkehr wird dieses Gericht an David noch vollzogen: Der Sohn, der aus dem Ehebruch
von David mit Batseba hervorgeht, muss sterben (2. Samuel 12,14). Auch wir wissen um
den ursächlichen Zusammenhang von persönlicher Schuld und Leiden. Was für
schreckliche und zerstörerische Folgen kommt über den Menschen, der sich
den Drogen hingibt oder die Ehe bricht.
Allerdings muss hier deutlich gesagt werden, dass es
hier keinen Schuld-Strafe-Automatismus gibt. Dieser ist ausdrücklich abzulehnen.
Der Zusammenhang existiert zwar, aber nicht als Automatismus. Der Blindgeborene, den
Jesus heilte, war genauso wenig schuld an seinem Leiden wie seine Eltern (Johannes
9,3). Jesus bestreitet hier einen Automatismus. Auch das Leben Hiobs zeigt dies, denn
hier musste ein Unschuldiger Leiden, weil Satan darauf wettete, dass Hiob sich von
Gott lossagen würde (Hiob 1,11).
2.4 Leid als Folge göttlichen Handelns
2.4.1 Wer wirkt das Unglück in der Stadt?
Die Bibel macht allerdings auch deutlich, dass Unglück
und Leid nicht nur in der Zulassung Gottes stehen, sondern Gott selbst der aktiv handelnde
Gott ist, auch in Unglück und Leid.
"Ich bin der Herr, und sonst
keiner mehr, der ich das Licht mache und schaffe die Finsternis, der ich Frieden
gebe und schaffe Unheil. Ich bin der HERR, der dies alles tut" (Jesaja 45,6.7).
"Ist etwa ein Unglück in der Stadt, das
der Herr nicht tut?" (Amos
3,6)
"Der Herr macht alles zu seinem Zweck, auch
den Gottlosen für den bösen Tag." (Sprüche 16,4)
Wenn wir Gottes Wort an diesen Stellen
ernst nehmen, dann geschehen Erdbeben oder Bombenangriffe auf Städte nicht nur
unter der Zulassung Gottes, sondern es gilt auch hier: "Es ist kein Unglück in der Stadt, das der Herr nicht tut." Hier wird deutlich, dass die Bibel kein Weltbild vertritt,
das davon ausgeht, dass das Reich des Lichts und der Finsternis als gleichstarke Kräfte
miteinander ringen. Aus biblischer Sicht ist Satan kein gleichstarker Gegengott, sondern
ein von Gott erschaffenes, Gott untergeordnetes und von ihm kontrolliertes Wesen. Gott
bleibt auch in einer von ihm abgefallenen, von Leid und Elend zerfurchten Schöpfung
der souveräne und allmächtige Herr, der alles wirkt und so gebraucht, dass
Gottes Ziele erreicht werden.
2.4.2 Der strafende Gott
Ohne Frage steht das vom Satan und vom Menschen verschuldete,
aber von Gott gewirkte Unglück in direktem Zusammenhang mit dem Strafhandeln Gottes.
Einmal sind die chaotischen Zustände und leidvollen Ereignisse in dieser Welt
Aspekt eines allgemeinen Strafhandeln Gottes, das als Folge des Sündenfalls die
ganze Schöpfungswelt immer wieder erschüttert. Zum anderen gibt es auch ein
ganz spezielles Strafhandeln Gottes, das als Folge persönlicher oder nationaler
Sünde über Menschen und Völker kommt.
"Der Herr wird unter dich
senden Unfrieden, Unruhe und Unglück in allem, was du unternimmst, bis du
vertilgt bist und bald untergegangen bist um deines bösen Treibens willen,
weil du mich verlassen hast. Der Herr wird dir die Pest anhängen, bis er dich
vertilgt hat in dem Lande, in das du kommst, es einzunehmen. Der Herr wird dich
schlagen mit Auszehrung, Entzündung und hitzigem Fieber, Getreidebrand und
Dürre; die werden dich verfolgen, bis du umkommst" (5.Mose 28,20).
Durch die Geschichte Israels wird dieser
Zusammenhang sichtbar, z. B. wenn unfassbares Leid durch assyrische, babylonische oder
römische Truppen verursacht wurde. Auch die Menschheit als Ganze wird am Ende
dieser Welt schreckliche Gerichte als Folge des Abfalls von Gott durchleiden müssen
(Offenbarung 15,5ff). Man hüte sich allerdings auch hier, im Falle von Krieg oder
Erdbeben einen grundsätzlich gültigen Schuld-Strafe-Automatismus anzunehmen.
Der entsetzliche Untergang des Dritten Reiches mag mit hoher Wahrscheinlichkeit in
einem solchen Schuld-Strafe-Zusammenhang stehen. Das Erdbeben in Japan, ist dagegen
eher im Zusammenhang mit der vom Sündenfall herkommenden gestörten Schöpfungsordnung
und dem Zustand der Vergänglichkeit dieser Schöpfung zu sehen.
2.4.3 Der verborgene Gott
In den Schrecknissen dieser Welt und dem ungezählten
Leid und Unglück dieser Welt, begegnet uns das Wirken des verborgenen Gottes.
Martin Luther unterschied zwischen dem verborgenen Gott (Deus absconditus) und dem
offenbaren Gott (Deus revelatus). Gott offenbart sich in seinem Wort und in seinem Sohn,
aber oft genug ist er in seinem Handeln auch ein verborgener und unergründlicher
Gott: "Fürwahr, du bist
ein verborgener Gott, du Gott Israels, der Heiland" (Jesaja 45,15). Gottes Gedanken sind nicht unsere Gedanken, und seine Wege
sind nicht unsere Wege (Jesaja 55,8). Wenn Gott das Unglück in der Stadt wirkt,
die Erde erzittern lässt, Pest und Auszehrung schickt, dann handelt er als der
verborgene und uns unverständliche Gott. Wir wissen meist nicht, warum es geschieht.
Warum verliert eine Frau ihren Mann und bleibt mit drei kleinen Kindern zurück?
Warum geschieht ein solch entsetzliches Erdbeben? Warum wird der zu Tode geschlagen,
der doch helfen wollte? Wir kommen hier an unsere Grenzen und können Gott nicht
verstehen und müssen bekennen, dass seine Gedanken einfach höher sind als
unsere. Wir sind wie der Ton in der Hand des Töpfers: "Weh dem, der mit seinem Schöpfer hadert, eine Scherbe unter irdenen
Scherben! Spricht denn der Ton zu seinem Töpfer: Was machst du? und sein Werk:
Du hast keine Hände!" (Jesaja
45,9)
2.5 Der angefochtene Mensch
Der Mensch, auch wenn er geistlich gefestigt ist, wird
unter dem Leid immer zu leiden haben und die Frage nach der Gerechtigkeit und Liebe
Gottes wird sich ihm stellen auch wenn er ganz fest im Glauben verwurzelt ist. Immer
wieder durchzieht die Psalmen die Frage des "Wie lange noch?"
"Herr, wie lange willst du
mich so ganz vergessen? Wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir?" (Psalm 13,2)
"Herr, wie lange willst du zusehen? Errette
doch meine Seele vor ihrem Unheil, mein Leben vor den jungen Löwen!"
(Psalm 35,17)
"Herr, wie lange willst du dich so verbergen
und deinen Grimm wie Feuer brennen lassen?" (Psalm 89,47)
Die biblischen Gläubigen wussten
um die Existenz Gottes, sie wussten um die Gnade und Liebe Gottes, und doch musste
man sich gerade im Leiden zu dem verborgenen, gnädigen, liebenden Gott hindurchbeten.
Am Kreuz betete Jesus mit den Worten des 22. Psalms: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Mitten im Leiden ist Jesus weit weg vom Vater und doch ganz
nah in ihm geborgen. Diese Erfahrung kann auch der vom Leid geplagte Mensch machen,
wenn er sich betend an den Sohn des lebendigen Gottes wendet.
3 Gottes Trost im Leiden
3.1 Gott ist bei denen, die leiden
"So spricht der Hohe und
Erhabene, der ewig wohnt, dessen Name heilig ist: Ich wohne in der Höhe und
im Heiligtum und bei denen, die zerschlagenen und demütigen Geistes sind,
auf dass ich erquicke den Geist der Gedemütigten und das Herz der Zerschlagenen."
(Jesaja 57,15)
Gott ist einerseits der scheinbar ferne
und verborgene Gott, der in heiligen Höhen wohnt, aber er ist eben auch der Gott,
der in unsere Not und unser Elend hineinkommt. Er will uns trösten und erquicken.
Dies wird auch in Jesaja 45,15 deutlich: "Fürwahr, du bist ein verborgener Gott, du Gott Israels, der Heiland."
Der verborgene Gott ist zugleich
der rettende Heiland.
3.2 Christus leidet - für uns
In Jesus Christus wird der verborgene Retter offenbar,
und nicht ohne Grund offenbart sich Gottes Liebe in der Tiefe des Leidens. Die Sünde
des Menschen brachte Leid und Elend über diese Menschheit. Christus kam, um den
Menschen aus seinem selbstgemachten Leid und Elend zu erretten, musste aber dafür
den Preis schrecklicher Schmerzen und Leiden auf sich nehmen:
"Er war der Allerverachtetste
und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das
Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet. Fürwahr,
er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn
für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber
er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen.
Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden
sind wir geheilt." (Jesaja
53,3-5)
Jesus Christus nimmt die Folgen des Sündenfalls
auf seine Schultern. Er bezahlt die schwere Strafe für die Sünde des Menschen
(Römer 6,23). Er nimmt den Fluch und das Strafgericht Gottes auf sich (Galater
3,13). Unsere Schmerzen, unser Leid und unser Unheil treffen den unschuldigen Sohn
Gottes.
3.3 Gott tröstet in der Tiefe
Der Gott, der selbst gelitten hat, ist der Gott, der
auch helfen kann: "Denn worin er selber gelitten hat und versucht worden ist,
kann er helfen denen, die versucht werden" (Hebräer 2,17). Jesus ist der
wahre Helfer und Tröster. Für ihn ist unser Leid kein Fremdwort und keine
bloße Theorie, denn er hat es selbst durchkämpft und durchlitten. Wir dürfen
uns im persönlichen Leid und in großer Not an ihn wenden:
"Rufe mich an in der Not,
so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen." (Psalm 50,15)
"Weil die Elenden Gewalt leiden und die Armen
seufzen, will ich jetzt aufstehen", spricht der Herr, "ich will Hilfe
schaffen dem, der sich danach sehnt" (Psalm 12,6).
"Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn
Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet
in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten können, die in
allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden
von Gott" (2. Korinther
1,3.4).
Und so können wir singen mit dem
Liederdichter Joachim Neander: "Lobe den Herren, der künstlich und fein dich
bereitet, der dir Gesundheit verliehen, dich freundlich geleitet. In wie viel Not hat
nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet." Gott begegnet
uns in der Tiefe und er will, dass wir ihn aus der Tiefe anrufen und er will uns in
der Tiefe trösten.
3.4 Wenn Leid den Glauben vertieft
Für den Christen hat das Leid noch eine tiefere
Dimension. Im Leiden erfährt der Mensch in besonderer Weise die Nähe Gottes
und eine Vertiefung seines Glaubens. Der Christ weiß, dass ihm alle Dinge, also
auch das Leiden zum Besten dienen müssen (Römer 8,28). Er weiß, dass
ihm durch den Trost Gottes auch zugleich der Glaube an Gott vertieft wird (Psalm 50,15).
Am Beispiel Hiob wird deutlich, wie das Leiden am Ende zu einer wunderbaren Vertiefung
der Gottesbeziehung führte (Hiob 42,4). Die Anfechtungen der leidenden Christen,
sind ein Mitleiden mit Christus (Römer 8,17), die den Glauben als echt erweisen
(1. Petrus 1,6ff) und den Christen für die Vollendung vorbereiten (Jakobus 1,2-4).
Der verborgene Gott, den wir nicht verstehen, wenn
wir das Leid dieser Welt betrachten, wird uns zum offenbaren Gott, wenn wir ihm in
der Tiefe des Leidens begegnen. So konnte Blaise Pascal schreiben: "Eine Stunde
der Schmerzen lehrt uns mehr als alle Philosophen zusammen". Der Christ fragt
dann nicht: "Warum?", weil es auf diese Frage ohnehin keine Antwort in dieser
Welt gibt. Er kann dann fragen: Herr, wozu lässt du das Leiden zu? Welche Ziele
verfolgst du damit? Was willst du mir in deiner (züchtigenden) Liebe zeigen (Hebräer
12,6)? Herr, wie kann ich in dieser Tiefe Dir begegnen, mehr von Dir erkennen, Deinen
Trost erfahren?
3.5 Gottes Antwort auf die Theodizeefrage des Menschen
Mit der Theodizeefrage stellt der Mensch die Frage
nach der Gerechtigkeit Gottes angesichts einer ungerechten und leidenden Welt. Gottes
Wort zeigt uns, dass Gott auch angesichts des Leides in dieser Welt ein gerechter Gott
ist, der durch alles Unglück dieser Welt hindurch unseren Frieden und unser Heil
will:
"Der Herr schafft Gerechtigkeit
und Recht all denen, die Unrecht leiden" (Psalm 103,6).
"Denn ich weiß wohl, was ich für
Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht
des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung" (Jeremia 29,11).
Der Mensch erkennt am Kreuz, dass Leid
und Tod die Folge der Sünde des Menschen sind. Er erkennt, dass nicht Gott, sondern
der Mensch schuldig ist. Der Mensch muss bekennen: Gott ist gerecht, wenn er die Erde
mit Zorn, Unglück und Leid straft und die Menschheit als Folge ihres Ungehorsams
durch Leid und Elend hindurchmuss.
Zugleich aber erkennt der Mensch am Kreuz, dass der
gerechte Richter zugleich der liebende Vater ist: "Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass
er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden"
(1. Johannes 4,10). Gott hat sich
nicht von dieser Welt abgewandt, sondern er hat sich dieser Welt zugewandt. Durch die
Qualen des Sohnes Gottes hindurch finden wir den gerechten, den liebenden, den rettenden
Gott, der nicht unser Leid, sondern unsere Rettung und unser Heil will. Eine tragfähige
Antwort auf die Frage der Theodizee findet der Mensch erst am Kreuz von Golgatha und
in der Begegnung mit dem auferstandenen Christus.
4 "Gott wird abwischen alle Tränen"
4.1 Die neue Schöpfung
Vom leidenden Christus am Kreuz muss nun unser Blick
auf den auferstandenen Christus gehen:
"Nun aber ist Christus auferstanden
von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind. Denn da durch einen
Menschen der Tod gekommen ist, so kommt auch durch einen Menschen die Auferstehung
der Toten. Denn wie sie in Adam alle sterben, so werden sie in Christus alle lebendig
gemacht" (1. Korinther 15,20-22).
Jesus ist damit der Erstling einer neuen
Schöpfung, in der es kein Leid, keinen Schmerz und keinen Tod mehr geben wird.
Gott wird einen neuen Himmel und eine neue Erde erschaffen, in der es kein Leiden mehr
gibt:
"Ich sah einen neuen Himmel
und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und
das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von
Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für
ihren Mann. Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach:
Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen,
und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein;
und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht
mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste
ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles
neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss!"
(Offenbarung 21,1-5)
4.2 Der gerechte Gott
Am Ende dieser Welt und all seiner Schrecken werden
die Erlösten Gott für seine Gerechtigkeit preisen:
"Und ich sah ein andres Zeichen
am Himmel, das war groß und wunderbar: sieben Engel, die hatten die letzten
sieben Plagen; denn mit ihnen ist vollendet der Zorn Gottes. Und ich sah, und es
war wie ein gläsernes Meer, mit Feuer vermengt; und die den Sieg behalten
hatten über das Tier und sein Bild und über die Zahl seines Namens, die
standen an dem gläsernen Meer und hatten Gottes Harfen und sangen das Lied
des Mose, des Knechtes Gottes, und das Lied des Lammes: Groß und wunderbar
sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott! Gerecht und wahrhaftig sind deine
Wege, du König der Völker. Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten
und deinen Namen nicht preisen? Denn du allein bist heilig! Ja, alle Völker
werden kommen und anbeten vor dir, denn deine gerechten Gerichte sind offenbar
geworden" (Offenbarung 15,1ff).
Erst dann werden wir Gottes Wege ganz
verstehen auch die schweren und leidvollen Wege, die das Leben der Menschheit und des
einzelnen Menschen bis heute kennzeichnen. Wir werden nicht mehr die "Theodizeefrage"
stellen, sondern Gott für seine Gerechtigkeit, die er auch durch seine leidvollen
und schmerzhaften Gerichte wiederhergestellt hat, preisen.
5 Leid - Warum?
Wenn wir danach fragen, wer für das Leiden dieser
Welt verantwortlich ist, dann zieht die Bibel den Blick auf den Menschen, der sich
von Satan verführen ließ und Gottes Wort missachtete. Nicht Gott kann also
für die Leiden dieser Welt verantwortlich gemacht werden, sondern zum einen Satan
und zum anderen der Mensch. Dennoch müssen wir auch erkennen, dass Gott auch in
einer gefallenen Schöpfung der souveräne Gott ist und bleibt. Somit ist auch
Unglück und Leiden nicht nur von ihm "zugelassen", sondern regelrecht
von ihm gewirkt. Der Mensch fällt an diesem Punkt in schwere Anfechtung, weil
er nicht begreift, warum Gott solches tut. Gott handelt als der "verborgene Gott",
wenn er durch das Leiden dieser Welt hindurch, Gericht hält und Strafe vollzieht,
aber vor allem auch rettet, versöhnt und Heil schafft. Das Geheimnis der Theodizeefrage
wird am Kreuz von Golgatha gelüftet. In den entsetzlichen Leiden des Gottessohnes
begegnet uns die Liebe des himmlischen Vaters, der nicht unser Leid und Elend will,
sondern uns eine herrliche Zukunft in seiner neuen Schöpfung geben will. Wer an
Jesus Christus glaubt, erhält freien Zugang zu dieser herrlichen neuen Schöpfung,
in der es weder Leid, noch Tränen, noch Tod mehr geben wird.
Der gläubige Philosoph Robert Spaemann (geb. 1927)
bietet in der aktuellen Ausgabe der "Zeit"
-Beilage "Christ und Welt" eine
geradezu provokante Antwort auf die Frage "Wo war Gott in Japan?" an.
Eigentlich könnte man immer fragen: Wo ist Gott?
Wo war Gott in Auschwitz? Und kann man ihm selbst angesichts solcher Krisen noch vertrauen?
Ja, man kann. Es ist sogar der Kern des Glaubens, auch dann auf Gottes Ratschluss zu
hoffen, wenn wir es nicht verstehen. Warum ist es Christen möglich, dieses fast
unmenschlich Schwierige zu schaffen? Spaemann erinnert: Erstens: Gott ist immer gleich,
er verändert sich nicht. Zweitens:
Wir verstehen niemals vollkommen Gottes Pläne.
Drittens: Unsere Erde, die bebt, überschwemmt wird und durch Radioaktivität
verstrahlt wird, vergeht am Ende. Das Reich Gottes aber ist nicht von dieser Welt.
Dennoch sei es legitim, seine Sorgen und Nöte
vor Gott auszuschütten, so Spaemann. "Sie trennen uns nicht von ihm."
Auch Jesus sei kein Stoiker gewesen, sondern er weinte, klagte und schrie zu Gott in
Zeiten der Not. Schließlich rufe der Psalmist Gott fast in dessen Eigeninteresse
an: Du kannst doch nicht wollen, dass die Heiden sagen: Wo ist denn ihr Gott? Ein gläubiger
Jude schrieb, bevor im KZ ums Leben kam, in sein Testament: "Gott, mach mit uns,
was du willst. Du wirst es nicht schaffen, dass wir aufhören, dich zu loben."
Spaemann: "Dieses gewaltige Paradox versteht nur ein Gläubiger."
Die Kirchengemeinde
Eysölden und das Gottesdienstteam wünscht einen gesegneten Sonntag!
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