49. "Leben live"-Gottesdienst, 25. September 2010
Der Gottesdienst wurde vorbereitet vom Gottesdienstteam. Die Predigt hielt Pfarrer Thomas Lorenz.

Die verwendeten Bibeltexte sind - soweit nicht anders angegeben - mit freundlicher Genehmigung des Verlags entnommen aus: Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers in der revidierten Fassung von 1984,
durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung.
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Themenpredigt: "Philipp Melanchthon - mehr als ein Begleiter Luthers"

Es gilt das gesprochene Wort!



Mal ganz ehrlich: Wer von euch kannte Philipp Melanchthon schon vor diesem Gottesdienst? Es gibt keinen Grund, sich zu schämen. Als wir als Team beieinander waren, um den "Leben live"-Gottesdienst zu planen, wusste ausnahmslos keiner von uns Näheres über ihn zu sagen. Also: Wer von euch kannte Philipp Melanchthon schon vor diesem Gottesdienst näher? Wer kann vielleicht das eine oder andere über ihn erzählen? Ja, vielleicht weiß man ja noch, dass Philipp Melanchthon Martin Luther oft begleitet hat und dass die beiden befreundet waren, gute Freunde waren, aber sonst … Wer weiß schon, dass die wichtigste Bekenntnisschrift unserer lutherischen Kirche nicht von Luther stammt sondern von Melanchthon: die Confessio Augustana, das Augsburger Bekenntnis. Wer also war Philipp Melanchthon?

"Wer oder was ist ein Melanchthon?", so wurden einmal Menschen in Melanchthons Geburtsstadt Breiten auf der Straße gefragt. Erstaunlich war, was die Interviewer da zu hören bekamen. Ein Schauspieler? Ein Nobelpreisträger! Ein Kaiser? Ein Papst! Oder eine chemische Verbindung, vielleicht ein Bestandteil des Atomkerns? Der Phantasie waren keine Grenzen gesetzt. Natürlich wussten auch einige Brettener, dass Melanchthon ein Theologe, ein Reformator war. Aber das war dann häufig auch schon alles.

Die Bekanntheit Melanchthons wird seiner Bedeutung nicht gerecht. Der Brettener war ein erstrangiger Reformator neben Luther. Die Reformation verdankt Luther die Impulse, Melanchthon aber die Gestaltwerdung. Ohne Melanchthons Wirken gäbe es keine evangelischen Kirchen, wie wir sie kennen.

Auch aus anderen Gründen ist es lohnend, sich mit Melanchthon näher zu beschäftigen. Er gehört zu den quellenmäßig am besten dokumentierten Menschen des 16. Jahrhunderts. Wir haben sein Bild aus verschiedenen Phasen seines Lebens. Fast alle seine Schriften sind uns erhalten. Seine Biografie ist weitgehend erschlossen. Auch sein Seelenleben liegt teilweise offen aufgrund der vielen hundert Privatbriefe, die er geschrieben hat und die sich erhalten haben. Melanchthon ist in dieser Hinsicht sogar besser dokumentiert als Luther und eignet sich deshalb auch als Studienobjekt für die Frömmigkeits- und Mentalitätsgeschichte.

Melanchthon wurde schon in den 90er-Jahren des 16. Jahrhunderts wegen seiner Verdienste um das Bildungswesen der Ehrentitel Praeceptor Germaniae, Lehrer Deutschlands, beigelegt. Heute wird er gerne als Lehrer Europas bezeichnet, denn die neuere, an den europäischen Dimensionen interessierte Forschung hat erkannt, dass Melanchthon nicht nur auf Deutschland, sondern auf viele Länder Europas gewirkt und ihre Kirchen- und Bildungsgeschichte nachhaltig geprägt hat. Sein Einfluss reichte nach Island, Dänemark, Norwegen, Schweden, England, Frankreich, Italien, Spanien, Ungarn, Siebenbürgen, Böhmen, Pommern und Polen. Stolz hat Melanchthon davon berichtet, beim Mittagessen seien an seinem Tisch zu Hause einmal elf verschiedene Sprachen erklungen.

Melanchthon war ein Reformator von europäischem Format, und er war Ireniker und Ökumeniker. Auch das macht ihn zu einer gerade für das 21. Jahrhundert interessanten Gestalt. Verkörperte Melanchthon im 16. Jahrhundert schon die Kirche der Zukunft? Der römisch-katholische Theologe und Melanchthonpreisträger Siegfried Wiedenhofer bezeichnete 1997 Melanchthon als den "modernsten" unter den Reformatoren und als "die größte ökumenische Gestalt der Reformationszeit".

Durch das Interview und durch die Filmausschnitte vorhin haben wir ihn schon ein wenig kennengelernt.

Der 450. Todestag Melanchthons hat unser Jahr 2010 zu einem Melanchthonjahr gemacht. Und oft wird er als Gelehrter gesehen. Das war er ganz gewiss, ohne jede Frage. Und doch:

Wer in Melanchthon nur einen Gelehrten und Lehrer sieht, der wird ihm nicht gerecht. Er war gefordert, belastet und manchmal überlastet mit Aufgaben, die weit über sein Lehramt als Professor für Griechisch hinausgingen. Als Gutachter und Visitator, als Berater und Verhandlungsführer war er bis zu seinem Tod unermüdlich tätig und unterwegs im Dienst der Kirche. Zu leisten war dies alles nur mit ungeheurer Disziplin und dem ständigen Austausch in einem gut funktionierenden Netzwerk naher und weit verstreuter Freunde, vor allem aber auch durch eine gelebte Frömmigkeit, in der die Zentren seines Lehrens und Denkens eine ganz persönliche Bedeutung und Tiefe gewannen. Für uns eher etwas fremd oder besser ungewohnt, ist die ganz offen dargestellte Verbindung von Theologie und Frömmigkeit in seinen Reden und Briefen. Seine persönlichen Sorgen im Blick auf die Familie, seine Sorgen über die Zukunft der Kirche, seine Lebens- und Glaubenserfahrungen sind hier zugänglich und vermittelbar, auch als Trost für andere. In diesen Zusammenhang gehört auch das, was wir Seelsorge nennen. Wer selbst Seelsorge erfahren hat, wer wie Melanchthon erlebt hat, wie das Gebet und der Zuspruch der Freunde und Brüder aufrichten konnte, der kann selbst ebenfalls trösten. Wir erfahren etwas davon aus seinen Briefen. Er lässt andere teilhaben an seinen Nöten und er nimmt selbst Anteil. Wichtig und hilfreich für ihn war das Gespräch, die Kommunikation, zum einem mit den Freunden und vielen Ratsuchenden, zum anderen die Verbindung zu Gott im Gebet. Seine Seelsorge an sich selbst und für andere war stets daran orientiert, dass wir von Gott als unserem Vater unter Berufung auf Jesus Christus alles erhoffen und erbitten dürfen. Im weiteren Verlauf seines Lebens, vor allem nach den großen Krisen 1530 und 1540, findet man verstärkt Gebete in seinen Briefen und Reden. Seit der Neubearbeitung seiner "Loci" 1543 hat das Gebet auch ganz offenkundig und ausführlich mit einem eigenen Kapitel seinen Platz im Rahmen seiner Theologie gefunden.

Ich möchte ein paar Gedanken aus seinem Leben und Wirken herausgreifen, ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit … Immer soll das auch geschehen unter der Fragestellung: Was könnte uns das heute sagen? Wo können wir Philipp Melanchthon heute nacheifern und in ihm ein Vorbild sehen?


Ein neuer Name: aus Schwarzerdt wird Melanchthon

Eine Namensänderung bedeutet immer einen Einschnitt im Leben eines Menschen. Nach altem Brauch ist sie mit der Eheschließung verknüpft, manchmal aber bedeutet sie auch einen Wechsel anderer Art, so wird aus dem Saulus ein Paulus, was zunächst einmal nur bedeutet, dass die hebräische Namensform durch die griechische ersetzt wird. Im Nachhinein wird diese Veränderung dann auch mit der Bekehrung des Pharisäers Saulus verknüpft und steht damit später sprichwörtlich für eine totale Wende im Leben eines Menschen.

Wie war das nun bei Philipp Schwarzerdt aus Bretten? Von einer Konversion oder einem totalen Bruch mit der Vergangenheit kann bei ihm keine Rede sei. Er erhält seinen neuen Namen, eine Gräzisierung (Übersetzung ins Griechische), ganz im Sinne der Humanistenbräuche als Knabe von seinem Mentor und Verwandten, dem Pforzheimer Johannes Reuchlin, offenbar als Belohnung und Ansporn. Wir finden den neuen Namen zuerst auf einer Widmung in einer griechischen Grammatik, die Reuchlin dem Knaben schenkte. Die Widmung ist datiert auf den 15. Mai 1509.

Melanchthon hat diesen Namen übernommen und beibehalten; später in der vereinfachten Form Melanthon. Nicht aus einer Laune heraus, sondern mit Absicht hat der große Humanist Johannes Reuchlin damit in das Leben des Knaben eingegriffen und es gelenkt. Dies gilt auch für den weiteren Bildungsweg und die akademische Laufbahn bis hin zur Berufung auf den neu gegründeten Lehrstuhl für Griechisch an der Universität Wittenberg. So steht der Name für den prägenden Einfluss des Lehrmeisters und Mentors, den Philipp Melanchthon ehrfurchtsvoll mit Vater anredet, und damit auch für die humanistische Prägung.

Humanismus, so muss man heute erläuternd anfügen, war damals kein weltanschaulicher oder gar antichristlicher Kampfbegriff, wie ab dem 19. Jahrhundert, sondern bezeichnet jene Bildungs- und Reformbewegung, die Europa ab dem 15. Jh. entscheidend prägte. Eine Bildung oder Prägung im Sinne des Humanismus hatten praktisch alle Reformatoren; Luther weniger, aber dafür Männer wie Zwingli, Bucer (auf den übrigens die Konfirmation zurückgeht) und Calvin. So war der Humanismus jener Zeit bedeutsam und entfaltete seine Wirkung nicht nur im Bereich von Schule und Universität sondern allgemein in Bildung, Glaube und Frömmigkeit.

Dass sich dieser Humanismus aber nicht zwangsläufig mit der Reformation verband, zeigen Weg und Schicksal von Johannes Reuchlin, Erasmus von Rotterdam und Jakob Wimpfeling. Alle drei hatten sie Schüler, die wichtig für die Reformation werden sollten und sich damit aber gleichzeitig von ihren Lehrern entfernten oder genauer: die Lehrer distanzierten sich von den Schülern, weil sie am alten Glauben festhalten wollten. Dies musste auch der neu bestallte Professor in Wittenberg schmerzhaft erfahren, als ihn sein väterlicher Mentor vor die Alternative stellte, entweder Distanzierung von Luther oder Abbruch aller Beziehungen bis hin zum Entzug des Erbes, nämlich der berühmten Bibliothek Reuchlins. Wie Melanchthon sich entschieden hat, ist bekannt; er hatte in Luther einen neuen Mentor und väterlichen Lehrer gefunden und ihm folgend das Evangelium entdeckt.

Auch in der Bibel spielt der neue Name eine große Rolle. "Du sollst mit einem neuen Namen genannt werden, welchen des Herrn Mund nennen wird" (Jesaja 62,2).

"Und du wirst sein eine schöne Krone in der Hand des Herrn und ein königlicher Reif in der Hand deines Gottes. Man soll dich nicht mehr nennen "Verlassene" und dein Land nicht mehr "Einsame", sondern du sollst heißen "Meine Lust" und dein Land "Liebe Frau"; denn der Herr hat Lust an dir, und dein Land hat einen lieben Mann."

"Wer überwindet, den will ich machen zum Pfeiler in dem Tempel meines Gottes, und er soll nicht mehr hinausgehen, und ich will auf ihn schreiben den Namen meines Gottes und den Namen des neuen Jerusalem, der Stadt meines Gottes, die vom Himmel herniederkommt von meinem Gott, und meinen Namen, den neuen."
(Offenbarung 3,12).

Abram -> Abraham / Sarai -> Sara / Simon -> Petrus


Ein neues Wappen, das Kreuz mit der Schlange

Mit seinem griechischen Namen hatte der junge Melanchthon gleichsam den Humanismus von seinem großen Verwandten, Entdecker und Förderer Johannes Reuchlin mit auf den Weg bekommen. Sein vermutlich selbst gewähltes Wappenbild bezeugt die neue Ausrichtung, die ihm wohl erst in Wittenberg in der Begegnung mit dem Evangelium, vermittelt durch Martin Luther, gegeben wurde.

Hintergrund dieses Wappens mit seinem auf den ersten Blick schwierigen Symbol, einer Schlange am Kreuz, ist ein Wort aus dem Neuen Testament. Jesus sagt in seinem Gespräch mit dem Schriftgelehrten Nikodemus: Wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben (Johannes 2,14f). Jesus greift hier die Geschichte von der durch Mose erhöhten Schlange in der Wüste auf (4. Mose 21,8f) und interpretiert sie neu im Blick auf sein Leben.

Melanchthon sieht in der alles entscheidenden Unterscheidung von Gesetz und Evangelium in dieser Schriftstelle den Schlüssel zum Verständnis des ganzen Römerbriefs:

"Denn wie jenes (das Gesetz) nur leblosen Schatten gewisser Tugenden unklar abzeichnete, so stellt uns dieses (das Evangelium) das höchst lebendige Vorbild des Lebens, Christus, vor und durch den Anblick seines so gnadenvollen Antlitzes wird es jede Bewegung des Geistes durch seinen Glanz aufhellen. Und was denn anderes bedeutete jene für uns in der Wüste erhöhte Schlange, als dass wir mit festem Blick gläubig (fromm) zu Christus aufschauen" - so Melanchthon in einer Vorrede aus dem Jahre 1521 zur Ausgabe des Römerbriefs (MBW 142, T 1, 142f).

Dieses auf Christus schauen ist die heilsame und heilende Hinwendung zu dem, den anzurufen Melanchthon nie müde wird. Der Leib der Schlange steht für die Gestalt des sündigen Fleisches, in welcher der Sohn Gottes gekommen ist (Römer 8, 3). So werden das Wappen und sein biblischer Hintergrund zum Hinweis darauf, wie der junge Melanchthon in seiner Entdeckung des Evangeliums eine Hinwendung zu Christus erfahren hat.

Heute: Auch wir brauchen eine persönliche Hinwendung zu Jesus Christus …


Das Bekenntnis - Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?

Der Römerbrief war von Anfang an, d.h. seit seiner Begegnung mit Luther, für Melanchthon der wichtigste Kommentar zum Evangelium. Der 31. Vers aus dem 8. Kapitel war ihm besonders wichtig und wurde auch als sein Bekenntnis bezeichnet; wenige Tage vor seinem Tode hörte er ihn wieder im Traum: "Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?" (Römer 8,31)

Auf dem Titelblatt zur Gesamtausgabe seiner Werke von 1562 sehen wir das Bild des alten Melanchthon mit dem Spruch aus Röm 8,31 in Latein: Si Deus pro nobis, quis contra nos? Deutlicher und klarer lässt sich die Botschaft des Evangeliums nicht zusammenfassen. Der kleine und schmächtige Mann, was hält er aus? Das haben sich schon bei seinem Dienstantritt in Wittenberg im Schatten Luthers in Wittenberg viele gefragt. Graeculus, der kleine Grieche, so nannte man ihn zunächst wohl eher abschätzig. Später haben viele und Luther vor allem seine Gaben und Fähigkeiten erkannt.

Dennoch, es fiel ihm manchmal schwer, sich auf diesem höchst gefährlichen Terrain reformatorischer Theologie und Politik zu bewegen. Der Traum und Wunsch von einer friedlichen, wissenschaftlichen Lehrtätigkeit war bald ausgeträumt. Die Vielfalt der Aufgaben forderte und überforderte den Gelehrten. Er musste erleben, wie die eigenen Schüler sich gegen ihn wandten und ihm zu große Nachgiebigkeit vorwarfen.

Immer wieder neu musste sich dieses Evangelium an ihm selbst bewähren, vor allem in den Kämpfen nach Luthers Tod 1546, in denen er als sein Nachfolger eine führende Rolle spielen sollte.

Sein schon 1539 verfasstes Testament beginnt mit dem dankbaren Bekenntnis und der Bitte:

Ich danke Gott, dem Vater unseres für uns gekreuzigten Herrn Jesus Christus, dass er mich zur Buße gerufen und mir das Evangelium bekannt gemacht hat.
Ich bitte, er möge mir alle Sünden vergeben um seines Sohnes willen, den er für uns zum Opfer gemacht hat.

Heute: Wir Christen gehen zu oft auf Tauchstation, als dass wir uns zu unserem Herrn Jesus Christus frei bekennen. Wir befürchten Nachteile, ausgelacht, nicht ganz für voll genommen zu werden. Dabei gilt die Botschaft uneingeschränkt: Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?


Der Lehrer ("praeceptor Germaniae")

Alle reden von Bildung; von den Lehrern und der Schule wird aber zumeist eher negativ berichtet, ein früherer Bundeskanzler verstieg sich sogar dazu, alle Lehrer pauschal als "faule Säcke" zu verunglimpfen. Man erinnert sich an Lehrerfiguren von langweilig bis unmöglich und ist noch nach Jahren stolz auf die Streiche von damals, wie die Herrenrunde in der "Feuerzangenbowle", dem bekannten Spielfilm mit Heinz Rühmann. Aber am Ende erkennen die Schüler dann doch, was ihre Lehrer für prächtige Gestalten waren.

Wenn nun einer gar "Lehrer Deutschlands" genannt wird, wie Philipp Melanchthon aus Bretten, dann lohnt es sich gewiss über diese Lehrergestalt noch etwas zu berichten. Er war ein Lehrer besonderer Art. Was uns zunächst in Erstaunen versetzt, ist die Breite seines Wissens: Er konnte in vielen Fächern unterrichten; von Geschichte, Philosophie, Latein, Griechisch, bis zu Mathematik und Religion. Er hat gelehrt und unzählige Bücher geschrieben; er war als Gutachter gefragt in vielen umstrittenen Angelegenheiten und war Prüfer für angehende Pfarrer und Lehrer. Das Titelbild seines Bilder-Katechismus von 1554 zeigt, dass er sich auch darum bemüht hat, den Anfängern die Grundbegriffe des Glaubens in Kürze und anschaulich zu vermitteln: Zehn Gebote, Glaubensbekenntnis, Vaterunser. Er hatte immer gern Kinder und Jugendliche um sich. Neben seinen Lehrverpflichtungen an der Universität hatte er daheim noch eine Art Internat. Die Schüler saßen bei ihm und seiner Frau Katharina am Tisch, lebten und lernten mit ihm zusammen. Er litt unter der Unaufmerksamkeit der Schüler wie fast alle Pädagogen bis heute, aber für seine Schüler etwas zu tun, das war ihm nie zu viel. Unzählige Briefe sind erhalten, in denen er sich um die Finanzierung ihres Studiums und später um ihre Anstellung kümmert. Er lehrte für sein Leben gern; noch in den letzten Lebenstagen, schon todkrank, ließ er es sich nicht nehmen, seine gewohnte Vorlesung und Auslegung zu den Evangelien für Gründonnerstag und Karfreitag zu halten.

"Auf zwei Dinge", so lehrte er, "ist wie auf ein Ziel, das ganze Leben auszurichten: Bildung und Frömmigkeit". Er war also der Meinung, dass man dies nicht trennen kann, Bildung und Frömmigkeit, Denken und Glauben. So ist die Kenntnis von Religion und ihre Praxis alles andere als unwesentlich, wie uns die gegenwärtige Auseinandersetzung der Religionen lehrt. Auf der anderen Seite, was wäre Frömmigkeit ohne Bildung? Wer verstehen will, was Christus lehrt, ist auf die Bibel angewiesen. Wer aber will die Bibel lesen und verstehen, ohne die Sprachen zu kennen, in denen sie geschrieben ist? Hier haben die Humanisten und die Reformatoren die Theologie wieder neu zu den Quellen geführt.

Aus der Geschichte und der eigenen leidvollen Erfahrung lernte und lehrte er auch, wie wichtig es ist, in Fragen des Glaubens besonders verantwortungsvoll zu lehren. Melanchthon war sich darüber klar, dass Streit über Glaubensfragen außerordentlich gefährlich werden kann. Darum war er nicht nur als Lehrer sondern auch als Vermittler auf vielen Konferenzen tätig, in denen er für den gemeinsamen Glauben und die Einheit der Kirche kämpfte. Sein berühmtestes Werk, das Augsburger Bekenntnis war ein Versuch, die Einheit im Glauben zu erhalten und einen drohenden Glaubenskrieg zu vermeiden. Er warnte vor allen falschen Radikalisierungen und Vereinfachungen; er litt unter dem Ehrgeiz und der Streitsucht mancher Theologen und unter dem Missbrauch der Religion bei vielen Mächtigen.

Als ein Lehrer blieb er auch ein Lernender. Er war sich seiner Grenzen bewusst und war begierig dazuzulernen. Deswegen wollte er auch in den Himmel kommen. Ja, ihr habt richtig gehört! Melanchthon wollte in den Himmel kommen, denn was nützt alles Lernen und Lehren, wenn man nicht die ganze Wahrheit erkennen kann. Die ganze Wahrheit erkennen, Gott erkennen, mit Christus und den Aposteln und Propheten ins Gespräch kommen, das war für ihn der Himmel. Der Himmel als eine Schule, Akademie oder Universität, wo wir am Ende doch noch lernen, worauf es ankommt, das klingt zunächst sehr fremd. Aber im Lichte Melanchthons gesehen lernen wir wahrhaftig, was schon der alte Spruch sagt, man lernt nie aus.

So ist die Erinnerung an Philipp Melanchthon als Lehrerpersönlichkeit, die in ihrer Zeit und weit darüber hinaus bis in die Gegenwart gewirkt und geprägt hat, ein wichtiger Anstoß für die Christenheit heute.

Im Hebräerbrief heißt es, und so steht es auch auf der Pfarrertafel in unserer St. Tho-maskirch: "Gedenkt an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben; ihr Ende schaut an und folgt ihrem Glauben nach" (Hebräer 13,7).

Heute: Auch wir bleiben ein Leben lang Lernende ("Jünger" …!), brauchen Lehrer, auch geistliche Lehrer. Christen sollten sich immer wieder bewusst machen, dass es beim christlichen Glauben zwar dem Wesen nach um eine persönliche Beziehung zu Jesus geht ("fides qua"), aber das Wissen über den Glauben ("fides quae") nicht einfach überflüssig ist …


Re-Formation!

Vom Sinn des Wortes her, bedeutet Reformator nichts anderes als Reformer, also einer, der ein vorhandenes System zu erneuern versucht. In diesem Sinn waren Martin Luther, Philipp Melanchthon, Johannes Calvin und viele andere Reformer. Ihr Programm war die Erneuerung der Kirche und des Glaubens auf Grundlage der Bibel und mit dem Kern und Schwerpunkt des Glaubens an die Gnade Gottes in Jesus Christus. Mit diesem Programm war die Hoffnung verbunden, die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche zu erneuern.

Bis zu seiner Verurteilung als Ketzer im Jahr 1521 war auch Luther der Meinung, dass die ganze Kirche, also auch die Bischöfe und der Papst, die Notwendigkeit solcher Reformen einsehen müssten. Auch Philipp Melanchthon hoffte noch 1530 auf dem Reichstag von Augsburg, dass eine Reform mit dem Abstellen von Missbräuchen möglich wäre. Dazu kam es aber nicht; stattdessen wurden die Reformer zu Ketzern erklärt, aus der Kirche ausgeschlossen und teilweise blutig verfolgt. Sie sahen sich gezwungen - entgegen ihren eigentlichen Absicht - eine eigene kirchliche Struktur aufzubauen. Das so genannte konfessionelle Zeitalter begann mit einer Spaltung der Kirche in verschiedene feindliche Lager und mit Jahrhunderte langen Kämpfen und Kriegen. Unter dieser Entwicklung hat gerade Philipp Melanchthon gelitten, der von seinem Charakter und seinem Naturell her ein friedliebender Mensch war und die Einheit der Kirche zu retten versuchte.

Auch in anderer Hinsicht gibt uns der Titel zu denken. Die Reformation war nicht einfach das Ergebnis eines Programms oder das Werk der Reformatoren, sondern ein dynamischer, ja revolutionärer Prozess, in dem die Handelnden selbst oft nur reagierten. Wir erinnern uns wie die Ereignisse in Wittenberg 1521 mit dem Bildersturm, die Luther und Melanchthon nicht nur überraschten sondern auch zutiefst verunsicherten. Vom Bauernkrieg und von dem Versuch der Täufer, ein christliches Gemeinwesen zu errichten, könnte man erzählen. Alle diese Ereignisse und Entwicklungen waren weder gewollt noch zu vermeiden. Sie verdeutlichen aber auch, dass man auch Persönlichkeiten wie Luther und Melanchthon nicht überschätzen darf. Sie verlieren nicht an Bedeutung wenn man sie von den Sockeln einmal herunterholt und als Christenmenschen in ihrer Zeit sieht. Sie gewinnen vielmehr an Profil und an Nähe, werden zu lebendigen Personen, die uns ansprechen und mit denen wir ins Gespräch kommen können in Zustimmung und auch in Widerspruch.

Heute: Sowohl die Kirche als auch jeder von uns braucht immer wieder Reformation, Erneuerung durch den Heiligen Geist auf der Grundlage des Wortes Gottes …

Die Kirchengemeinde Eysölden und das Gottesdienstteam wünscht einen gesegneten Sonntag!