Themenpredigt: "Philipp Melanchthon - mehr als ein Begleiter Luthers"
Es gilt das gesprochene Wort!
Mal ganz ehrlich: Wer von euch kannte Philipp Melanchthon
schon vor diesem Gottesdienst? Es gibt keinen Grund, sich zu schämen. Als wir
als Team beieinander waren, um den "Leben live"-Gottesdienst zu planen, wusste
ausnahmslos keiner von uns Näheres über ihn zu sagen. Also: Wer von euch
kannte Philipp Melanchthon schon vor diesem Gottesdienst näher? Wer kann vielleicht
das eine oder andere über ihn erzählen? Ja, vielleicht weiß man ja
noch, dass Philipp Melanchthon Martin Luther oft begleitet hat und dass die beiden
befreundet waren, gute Freunde waren, aber sonst
Wer weiß schon, dass
die wichtigste Bekenntnisschrift unserer lutherischen Kirche nicht von Luther stammt
sondern von Melanchthon: die Confessio Augustana, das Augsburger Bekenntnis. Wer also
war Philipp Melanchthon?
"Wer oder was ist ein Melanchthon?", so wurden
einmal Menschen in Melanchthons Geburtsstadt Breiten auf der Straße gefragt.
Erstaunlich war, was die Interviewer da zu hören bekamen. Ein Schauspieler? Ein
Nobelpreisträger! Ein Kaiser? Ein Papst! Oder eine chemische Verbindung, vielleicht
ein Bestandteil des Atomkerns? Der Phantasie waren keine Grenzen gesetzt. Natürlich
wussten auch einige Brettener, dass Melanchthon ein Theologe, ein Reformator war. Aber
das war dann häufig auch schon alles.
Die Bekanntheit Melanchthons wird seiner Bedeutung
nicht gerecht. Der Brettener war ein erstrangiger Reformator neben Luther. Die Reformation
verdankt Luther die Impulse, Melanchthon aber die Gestaltwerdung. Ohne Melanchthons
Wirken gäbe es keine evangelischen Kirchen, wie wir sie kennen.
Auch aus anderen Gründen ist es lohnend, sich
mit Melanchthon näher zu beschäftigen. Er gehört zu den quellenmäßig
am besten dokumentierten Menschen des 16. Jahrhunderts. Wir haben sein Bild aus verschiedenen
Phasen seines Lebens. Fast alle seine Schriften sind uns erhalten. Seine Biografie
ist weitgehend erschlossen. Auch sein Seelenleben liegt teilweise offen aufgrund der
vielen hundert Privatbriefe, die er geschrieben hat und die sich erhalten haben. Melanchthon
ist in dieser Hinsicht sogar besser dokumentiert als Luther und eignet sich deshalb
auch als Studienobjekt für die Frömmigkeits- und Mentalitätsgeschichte.
Melanchthon wurde schon in den 90er-Jahren des 16.
Jahrhunderts wegen seiner Verdienste um das Bildungswesen der Ehrentitel Praeceptor
Germaniae, Lehrer Deutschlands, beigelegt. Heute wird er gerne als Lehrer Europas bezeichnet,
denn die neuere, an den europäischen Dimensionen interessierte Forschung hat erkannt,
dass Melanchthon nicht nur auf Deutschland, sondern auf viele Länder Europas gewirkt
und ihre Kirchen- und Bildungsgeschichte nachhaltig geprägt hat. Sein Einfluss
reichte nach Island, Dänemark, Norwegen, Schweden, England, Frankreich, Italien,
Spanien, Ungarn, Siebenbürgen, Böhmen, Pommern und Polen. Stolz hat Melanchthon
davon berichtet, beim Mittagessen seien an seinem Tisch zu Hause einmal elf verschiedene
Sprachen erklungen.
Melanchthon war ein Reformator von europäischem
Format, und er war Ireniker und Ökumeniker. Auch das macht ihn zu einer gerade
für das 21. Jahrhundert interessanten Gestalt. Verkörperte Melanchthon im
16. Jahrhundert schon die Kirche der Zukunft? Der römisch-katholische Theologe
und Melanchthonpreisträger Siegfried Wiedenhofer bezeichnete 1997 Melanchthon
als den "modernsten" unter den Reformatoren und als "die größte
ökumenische Gestalt der Reformationszeit".
Durch das Interview und durch die Filmausschnitte vorhin
haben wir ihn schon ein wenig kennengelernt.
Der 450. Todestag Melanchthons hat unser Jahr 2010
zu einem Melanchthonjahr gemacht. Und oft wird er als Gelehrter gesehen. Das war er
ganz gewiss, ohne jede Frage. Und doch:
Wer in Melanchthon nur einen Gelehrten und Lehrer sieht,
der wird ihm nicht gerecht. Er war gefordert, belastet und manchmal überlastet
mit Aufgaben, die weit über sein Lehramt als Professor für Griechisch hinausgingen.
Als Gutachter und Visitator, als Berater und Verhandlungsführer war er bis zu
seinem Tod unermüdlich tätig und unterwegs im Dienst der Kirche. Zu leisten
war dies alles nur mit ungeheurer Disziplin und dem ständigen Austausch in einem
gut funktionierenden Netzwerk naher und weit verstreuter Freunde, vor allem aber auch
durch eine gelebte Frömmigkeit, in der die Zentren seines Lehrens und Denkens
eine ganz persönliche Bedeutung und Tiefe gewannen. Für uns eher etwas fremd
oder besser ungewohnt, ist die ganz offen dargestellte Verbindung von Theologie und
Frömmigkeit in seinen Reden und Briefen. Seine persönlichen Sorgen im Blick
auf die Familie, seine Sorgen über die Zukunft der Kirche, seine Lebens- und Glaubenserfahrungen
sind hier zugänglich und vermittelbar, auch als Trost für andere. In diesen
Zusammenhang gehört auch das, was wir Seelsorge nennen. Wer selbst Seelsorge erfahren
hat, wer wie Melanchthon erlebt hat, wie das Gebet und der Zuspruch der Freunde und
Brüder aufrichten konnte, der kann selbst ebenfalls trösten. Wir erfahren
etwas davon aus seinen Briefen. Er lässt andere teilhaben an seinen Nöten
und er nimmt selbst Anteil. Wichtig und hilfreich für ihn war das Gespräch,
die Kommunikation, zum einem mit den Freunden und vielen Ratsuchenden, zum anderen
die Verbindung zu Gott im Gebet. Seine Seelsorge an sich selbst und für andere
war stets daran orientiert, dass wir von Gott als unserem Vater unter Berufung auf
Jesus Christus alles erhoffen und erbitten dürfen. Im weiteren Verlauf seines
Lebens, vor allem nach den großen Krisen 1530 und 1540, findet man verstärkt
Gebete in seinen Briefen und Reden. Seit der Neubearbeitung seiner "Loci"
1543 hat das Gebet auch ganz offenkundig und ausführlich mit einem eigenen Kapitel
seinen Platz im Rahmen seiner Theologie gefunden.
Ich möchte ein paar Gedanken aus seinem Leben
und Wirken herausgreifen, ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit
Immer
soll das auch geschehen unter der Fragestellung: Was könnte uns das heute sagen?
Wo können wir Philipp Melanchthon heute nacheifern und in ihm ein Vorbild sehen?
Ein neuer Name: aus Schwarzerdt wird Melanchthon
Eine Namensänderung bedeutet immer einen Einschnitt
im Leben eines Menschen. Nach altem Brauch ist sie mit der Eheschließung verknüpft,
manchmal aber bedeutet sie auch einen Wechsel anderer Art, so wird aus dem Saulus ein
Paulus, was zunächst einmal nur bedeutet, dass die hebräische Namensform
durch die griechische ersetzt wird. Im Nachhinein wird diese Veränderung dann
auch mit der Bekehrung des Pharisäers Saulus verknüpft und steht damit später
sprichwörtlich für eine totale Wende im Leben eines Menschen.
Wie war das nun bei Philipp Schwarzerdt aus Bretten?
Von einer Konversion oder einem totalen Bruch mit der Vergangenheit kann bei ihm keine
Rede sei. Er erhält seinen neuen Namen, eine Gräzisierung (Übersetzung
ins Griechische), ganz im Sinne der Humanistenbräuche als Knabe von seinem Mentor
und Verwandten, dem Pforzheimer Johannes Reuchlin, offenbar als Belohnung und Ansporn.
Wir finden den neuen Namen zuerst auf einer Widmung in einer griechischen Grammatik,
die Reuchlin dem Knaben schenkte. Die Widmung ist datiert auf den 15. Mai 1509.
Melanchthon hat diesen Namen übernommen und beibehalten;
später in der vereinfachten Form Melanthon. Nicht aus einer Laune heraus, sondern
mit Absicht hat der große Humanist Johannes Reuchlin damit in das Leben des Knaben
eingegriffen und es gelenkt. Dies gilt auch für den weiteren Bildungsweg und die
akademische Laufbahn bis hin zur Berufung auf den neu gegründeten Lehrstuhl für
Griechisch an der Universität Wittenberg. So steht der Name für den prägenden
Einfluss des Lehrmeisters und Mentors, den Philipp Melanchthon ehrfurchtsvoll mit Vater
anredet, und damit auch für die humanistische Prägung.
Humanismus, so muss man heute erläuternd anfügen,
war damals kein weltanschaulicher oder gar antichristlicher Kampfbegriff, wie ab dem
19. Jahrhundert, sondern bezeichnet jene Bildungs- und Reformbewegung, die Europa ab
dem 15. Jh. entscheidend prägte. Eine Bildung oder Prägung im Sinne des Humanismus
hatten praktisch alle Reformatoren; Luther weniger, aber dafür Männer wie
Zwingli, Bucer (auf den übrigens die Konfirmation zurückgeht) und Calvin.
So war der Humanismus jener Zeit bedeutsam und entfaltete seine Wirkung nicht nur im
Bereich von Schule und Universität sondern allgemein in Bildung, Glaube und Frömmigkeit.
Dass sich dieser Humanismus aber nicht zwangsläufig
mit der Reformation verband, zeigen Weg und Schicksal von Johannes Reuchlin, Erasmus
von Rotterdam und Jakob Wimpfeling. Alle drei hatten sie Schüler, die wichtig
für die Reformation werden sollten und sich damit aber gleichzeitig von ihren
Lehrern entfernten oder genauer: die Lehrer distanzierten sich von den Schülern,
weil sie am alten Glauben festhalten wollten. Dies musste auch der neu bestallte Professor
in Wittenberg schmerzhaft erfahren, als ihn sein väterlicher Mentor vor die Alternative
stellte, entweder Distanzierung von Luther oder Abbruch aller Beziehungen bis hin zum
Entzug des Erbes, nämlich der berühmten Bibliothek Reuchlins. Wie Melanchthon
sich entschieden hat, ist bekannt; er hatte in Luther einen neuen Mentor und väterlichen
Lehrer gefunden und ihm folgend das Evangelium entdeckt.
Auch in der Bibel spielt der neue Name eine große
Rolle. "Du sollst mit einem neuen
Namen genannt werden, welchen des Herrn Mund nennen wird" (Jesaja 62,2).
"Und du wirst sein eine schöne Krone in der
Hand des Herrn und ein königlicher Reif in der Hand deines Gottes. Man soll dich
nicht mehr nennen "Verlassene" und dein Land nicht mehr "Einsame",
sondern du sollst heißen "Meine Lust" und dein Land "Liebe Frau";
denn der Herr hat Lust an dir, und dein Land hat einen lieben Mann."
"Wer überwindet, den will ich machen zum
Pfeiler in dem Tempel meines Gottes, und er soll nicht mehr hinausgehen, und ich will
auf ihn schreiben den Namen meines Gottes und den Namen des neuen Jerusalem, der Stadt
meines Gottes, die vom Himmel herniederkommt von meinem Gott, und meinen Namen, den
neuen." (Offenbarung 3,12).
Abram -> Abraham / Sarai -> Sara / Simon ->
Petrus
Ein neues Wappen, das Kreuz mit der Schlange
Mit seinem griechischen Namen hatte der junge Melanchthon
gleichsam den Humanismus von seinem großen Verwandten, Entdecker und Förderer
Johannes Reuchlin mit auf den Weg bekommen. Sein vermutlich selbst gewähltes Wappenbild
bezeugt die neue Ausrichtung, die ihm wohl erst in Wittenberg in der Begegnung mit
dem Evangelium, vermittelt durch Martin Luther, gegeben wurde.
Hintergrund dieses Wappens mit seinem auf den ersten
Blick schwierigen Symbol, einer Schlange am Kreuz, ist ein Wort aus dem Neuen Testament.
Jesus sagt in seinem Gespräch mit dem Schriftgelehrten Nikodemus: Wie Mose in
der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden,
damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben (Johannes 2,14f). Jesus greift
hier die Geschichte von der durch Mose erhöhten Schlange in der Wüste auf
(4. Mose 21,8f) und interpretiert sie neu im Blick auf sein Leben.
Melanchthon sieht in der alles entscheidenden Unterscheidung
von Gesetz und Evangelium in dieser Schriftstelle den Schlüssel zum Verständnis
des ganzen Römerbriefs:
"Denn wie jenes (das Gesetz) nur leblosen Schatten
gewisser Tugenden unklar abzeichnete, so stellt uns dieses (das Evangelium) das höchst
lebendige Vorbild des Lebens, Christus, vor und durch den Anblick seines so gnadenvollen
Antlitzes wird es jede Bewegung des Geistes durch seinen Glanz aufhellen. Und was denn
anderes bedeutete jene für uns in der Wüste erhöhte Schlange, als dass
wir mit festem Blick gläubig (fromm) zu Christus aufschauen" - so Melanchthon
in einer Vorrede aus dem Jahre 1521 zur Ausgabe des Römerbriefs (MBW 142, T 1,
142f).
Dieses auf Christus schauen ist die heilsame und heilende
Hinwendung zu dem, den anzurufen Melanchthon nie müde wird. Der Leib der Schlange
steht für die Gestalt des sündigen Fleisches, in welcher der Sohn Gottes
gekommen ist (Römer 8, 3). So werden das Wappen und sein biblischer Hintergrund
zum Hinweis darauf, wie der junge Melanchthon in seiner Entdeckung des Evangeliums
eine Hinwendung zu Christus erfahren hat.
Heute: Auch wir brauchen eine persönliche Hinwendung
zu Jesus Christus
Das Bekenntnis - Ist Gott für uns, wer mag
wider uns sein?
Der Römerbrief war von Anfang an, d.h. seit seiner
Begegnung mit Luther, für Melanchthon der wichtigste Kommentar zum Evangelium.
Der 31. Vers aus dem 8. Kapitel war ihm besonders wichtig und wurde auch als sein Bekenntnis
bezeichnet; wenige Tage vor seinem Tode hörte er ihn wieder im Traum: "Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?"
(Römer 8,31)
Auf dem Titelblatt zur Gesamtausgabe seiner Werke von
1562 sehen wir das Bild des alten Melanchthon mit dem Spruch aus Röm 8,31 in Latein:
Si Deus pro nobis, quis contra nos?
Deutlicher und klarer lässt
sich die Botschaft des Evangeliums nicht zusammenfassen. Der kleine und schmächtige
Mann, was hält er aus? Das haben sich schon bei seinem Dienstantritt in Wittenberg
im Schatten Luthers in Wittenberg viele gefragt. Graeculus, der kleine Grieche, so
nannte man ihn zunächst wohl eher abschätzig. Später haben viele und
Luther vor allem seine Gaben und Fähigkeiten erkannt.
Dennoch, es fiel ihm manchmal schwer, sich auf diesem
höchst gefährlichen Terrain reformatorischer Theologie und Politik zu bewegen.
Der Traum und Wunsch von einer friedlichen, wissenschaftlichen Lehrtätigkeit war
bald ausgeträumt. Die Vielfalt der Aufgaben forderte und überforderte den
Gelehrten. Er musste erleben, wie die eigenen Schüler sich gegen ihn wandten und
ihm zu große Nachgiebigkeit vorwarfen.
Immer wieder neu musste sich dieses Evangelium an ihm
selbst bewähren, vor allem in den Kämpfen nach Luthers Tod 1546, in denen
er als sein Nachfolger eine führende Rolle spielen sollte.
Sein schon 1539 verfasstes Testament beginnt mit dem
dankbaren Bekenntnis und der Bitte:
Ich danke Gott, dem Vater unseres für uns gekreuzigten
Herrn Jesus Christus, dass er mich zur Buße gerufen und mir das Evangelium bekannt
gemacht hat.
Ich bitte, er möge mir alle Sünden vergeben
um seines Sohnes willen, den er für uns zum Opfer gemacht hat.
Heute: Wir Christen gehen zu oft auf Tauchstation,
als dass wir uns zu unserem Herrn Jesus Christus frei bekennen. Wir befürchten
Nachteile, ausgelacht, nicht ganz für voll genommen zu werden. Dabei gilt die
Botschaft uneingeschränkt: Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?
Der Lehrer ("praeceptor Germaniae")
Alle reden von Bildung; von den Lehrern und der Schule
wird aber zumeist eher negativ berichtet, ein früherer Bundeskanzler verstieg
sich sogar dazu, alle Lehrer pauschal als "faule Säcke" zu verunglimpfen.
Man erinnert sich an Lehrerfiguren von langweilig bis unmöglich und ist noch nach
Jahren stolz auf die Streiche von damals, wie die Herrenrunde in der "Feuerzangenbowle",
dem bekannten Spielfilm mit Heinz Rühmann. Aber am Ende erkennen die Schüler
dann doch, was ihre Lehrer für prächtige Gestalten waren.
Wenn nun einer gar "Lehrer Deutschlands"
genannt wird, wie Philipp Melanchthon aus Bretten, dann lohnt es sich gewiss über
diese Lehrergestalt noch etwas zu berichten. Er war ein Lehrer besonderer Art. Was
uns zunächst in Erstaunen versetzt, ist die Breite seines Wissens: Er konnte in
vielen Fächern unterrichten; von Geschichte, Philosophie, Latein, Griechisch,
bis zu Mathematik und Religion. Er hat gelehrt und unzählige Bücher geschrieben;
er war als Gutachter gefragt in vielen umstrittenen Angelegenheiten und war Prüfer
für angehende Pfarrer und Lehrer. Das Titelbild seines Bilder-Katechismus von
1554 zeigt, dass er sich auch darum bemüht hat, den Anfängern die Grundbegriffe
des Glaubens in Kürze und anschaulich zu vermitteln: Zehn Gebote, Glaubensbekenntnis,
Vaterunser. Er hatte immer gern Kinder und Jugendliche um sich. Neben seinen Lehrverpflichtungen
an der Universität hatte er daheim noch eine Art Internat. Die Schüler saßen
bei ihm und seiner Frau Katharina am Tisch, lebten und lernten mit ihm zusammen. Er
litt unter der Unaufmerksamkeit der Schüler wie fast alle Pädagogen bis
heute, aber für seine Schüler etwas zu tun, das war ihm nie zu viel. Unzählige
Briefe sind erhalten, in denen er sich um die Finanzierung ihres Studiums und später
um ihre Anstellung kümmert. Er lehrte für sein Leben gern; noch in den letzten
Lebenstagen, schon todkrank, ließ er es sich nicht nehmen, seine gewohnte Vorlesung
und Auslegung zu den Evangelien für Gründonnerstag und Karfreitag zu halten.
"Auf zwei Dinge", so lehrte er, "ist
wie auf ein Ziel, das ganze Leben auszurichten: Bildung und Frömmigkeit".
Er war also der Meinung, dass man dies nicht trennen kann, Bildung und Frömmigkeit,
Denken und Glauben. So ist die Kenntnis von Religion und ihre Praxis alles andere als
unwesentlich, wie uns die gegenwärtige Auseinandersetzung der Religionen lehrt.
Auf der anderen Seite, was wäre Frömmigkeit ohne Bildung? Wer verstehen will,
was Christus lehrt, ist auf die Bibel angewiesen. Wer aber will die Bibel lesen und
verstehen, ohne die Sprachen zu kennen, in denen sie geschrieben ist? Hier haben die
Humanisten und die Reformatoren die Theologie wieder neu zu den Quellen geführt.
Aus der Geschichte und der eigenen leidvollen Erfahrung
lernte und lehrte er auch, wie wichtig es ist, in Fragen des Glaubens besonders verantwortungsvoll
zu lehren. Melanchthon war sich darüber klar, dass Streit über Glaubensfragen
außerordentlich gefährlich werden kann. Darum war er nicht nur als Lehrer
sondern auch als Vermittler auf vielen Konferenzen tätig, in denen er für
den gemeinsamen Glauben und die Einheit der Kirche kämpfte. Sein berühmtestes
Werk, das Augsburger Bekenntnis war ein Versuch, die Einheit im Glauben zu erhalten
und einen drohenden Glaubenskrieg zu vermeiden. Er warnte vor allen falschen Radikalisierungen
und Vereinfachungen; er litt unter dem Ehrgeiz und der Streitsucht mancher Theologen
und unter dem Missbrauch der Religion bei vielen Mächtigen.
Als ein Lehrer blieb er auch ein Lernender. Er war
sich seiner Grenzen bewusst und war begierig dazuzulernen. Deswegen wollte er auch
in den Himmel kommen. Ja, ihr habt richtig gehört! Melanchthon wollte in den Himmel
kommen, denn was nützt alles Lernen und Lehren, wenn man nicht die ganze Wahrheit
erkennen kann. Die ganze Wahrheit erkennen, Gott erkennen, mit Christus und den Aposteln
und Propheten ins Gespräch kommen, das war für ihn der Himmel. Der Himmel
als eine Schule, Akademie oder Universität, wo wir am Ende doch noch lernen, worauf
es ankommt, das klingt zunächst sehr fremd. Aber im Lichte Melanchthons gesehen
lernen wir wahrhaftig, was schon der alte Spruch sagt, man lernt nie aus.
So ist die Erinnerung an Philipp Melanchthon als Lehrerpersönlichkeit,
die in ihrer Zeit und weit darüber hinaus bis in die Gegenwart gewirkt und geprägt
hat, ein wichtiger Anstoß für die Christenheit heute.
Im Hebräerbrief heißt es, und so steht es
auch auf der Pfarrertafel in unserer St. Tho-maskirch: "Gedenkt an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben; ihr Ende
schaut an und folgt ihrem Glauben nach" (Hebräer 13,7).
Heute: Auch wir bleiben ein Leben lang Lernende ("Jünger"
!), brauchen Lehrer, auch geistliche Lehrer. Christen sollten sich immer wieder
bewusst machen, dass es beim christlichen Glauben zwar dem Wesen nach um eine persönliche
Beziehung zu Jesus geht ("fides qua"), aber das Wissen über den Glauben
("fides quae") nicht einfach überflüssig ist
Re-Formation!
Vom Sinn des Wortes her, bedeutet Reformator nichts
anderes als Reformer, also einer, der ein vorhandenes System zu erneuern versucht.
In diesem Sinn waren Martin Luther, Philipp Melanchthon, Johannes Calvin und viele
andere Reformer. Ihr Programm war die Erneuerung der Kirche und des Glaubens auf Grundlage
der Bibel und mit dem Kern und Schwerpunkt des Glaubens an die Gnade Gottes in Jesus
Christus. Mit diesem Programm war die Hoffnung verbunden, die eine, heilige, katholische
und apostolische Kirche zu erneuern.
Bis zu seiner Verurteilung als Ketzer im Jahr 1521
war auch Luther der Meinung, dass die ganze Kirche, also auch die Bischöfe und
der Papst, die Notwendigkeit solcher Reformen einsehen müssten. Auch Philipp Melanchthon
hoffte noch 1530 auf dem Reichstag von Augsburg, dass eine Reform mit dem Abstellen
von Missbräuchen möglich wäre. Dazu kam es aber nicht; stattdessen wurden
die Reformer zu Ketzern erklärt, aus der Kirche ausgeschlossen und teilweise blutig
verfolgt. Sie sahen sich gezwungen - entgegen ihren eigentlichen Absicht - eine eigene
kirchliche Struktur aufzubauen. Das so genannte konfessionelle Zeitalter begann mit
einer Spaltung der Kirche in verschiedene feindliche Lager und mit Jahrhunderte langen
Kämpfen und Kriegen. Unter dieser Entwicklung hat gerade Philipp Melanchthon
gelitten, der von seinem Charakter und seinem Naturell her ein friedliebender Mensch
war und die Einheit der Kirche zu retten versuchte.
Auch in anderer Hinsicht gibt uns der Titel zu denken.
Die Reformation war nicht einfach das Ergebnis eines Programms oder das Werk der Reformatoren,
sondern ein dynamischer, ja revolutionärer Prozess, in dem die Handelnden selbst
oft nur reagierten. Wir erinnern uns wie die Ereignisse in Wittenberg 1521 mit dem
Bildersturm, die Luther und Melanchthon nicht nur überraschten sondern auch zutiefst
verunsicherten. Vom Bauernkrieg und von dem Versuch der Täufer, ein christliches
Gemeinwesen zu errichten, könnte man erzählen. Alle diese Ereignisse und
Entwicklungen waren weder gewollt noch zu vermeiden. Sie verdeutlichen aber auch, dass
man auch Persönlichkeiten wie Luther und Melanchthon nicht überschätzen
darf. Sie verlieren nicht an Bedeutung wenn man sie von den Sockeln einmal herunterholt
und als Christenmenschen in ihrer Zeit sieht. Sie gewinnen vielmehr an Profil und an
Nähe, werden zu lebendigen Personen, die uns ansprechen und mit denen wir ins
Gespräch kommen können in Zustimmung und auch in Widerspruch.
Heute: Sowohl die Kirche als auch jeder von uns braucht
immer wieder Reformation, Erneuerung durch den Heiligen Geist auf der Grundlage des
Wortes Gottes
Die Kirchengemeinde
Eysölden und das Gottesdienstteam wünscht einen gesegneten Sonntag!
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