
Themenpredigt:
"Sorgen - ent-sorgen?!"

Es gilt das gesprochene Wort!

Wie schön wäre das doch, wenn
man die Sorgen ganz einfach los wäre! Wenn man sie "ent-sorgen" könnte
wie das Altpapier, das Altglas, die Verbundstoffe oder den Restmüll
Der
Schlagersänger Peter Alexander (* 1926) riet 1973: "Steck dir deine Sorgen
an den Hut!" Aber Entschuldigung - Welcher Hut soll das bitte sein? Und auf dem
Hut beschäftigen mich die nicht weiter, oder? Doch viel gefährlicher ist
der Rat, Sorgen durch Trinken von Alkohol loszuwerden. Solche Ratschläge finden
sich auch in Liedern: Scheinbar ganz harmlos sang schon vor 56 Jahren Willy Schneider
(1905-1989): "Schütt deine Sorgen in ein Gläschen Wein". Es geht
aber auch unverblümter und unverantwortlicher: "Hast du mal Sorgen und fehlt
dir der Mut, trinke zwölf Halbe und alles wird gut." Gut wird dabei gar nichts.
Denn auch der Rausch geht vorbei, die Sorgen bleiben und werden mit jedem weiteren
Alkoholmissbrauch nur größer
Aber warum gibt es eigentlich Sorgen? Und warum fühlt
sich der Mensch in seinen Sorgen oft wie ein Gefangener? Was sagt uns die Bibel dazu?
I. Der in seiner Sorge gefangene Mensch
Die Tatsache, dass Gott sich um seine Welt kümmert,
liegt nicht einfach auf der Hand. Eher lässt sich das Gegenteil erkennen. Betrachten
wir unser Leben und die Welt, in der wir zu Hause sind, so entdecken wir nicht nur,
dass vieles im Argen liegt. Wir beginnen auch an der Güte Gottes zu zweifeln.
Ist Gott tatsächlich ein Gott für die Menschen? Sorgt und kümmert er
sich um uns oder lässt er den Dingen freien Lauf? Sind wir Menschen von ihm verlassen?
Sind wir einsame Wanderer im Weltall oder gibt es einen Vater im Himmel, der unsere
Schritte lenkt und den unser Schicksal interessiert?
Der Hintergrund solcher Gedanken ist, dass der Einzelne
Gottes Fürsorge nicht unmittelbar sehen kann.
Schaut er sein Leben an, dann meint er, dass die Welt
ihren eigenen Gesetzen folgt. Ein Eingreifen Gottes in das eigene Leben oder den Fortgang
der Welt kann er sich einfach nicht vorstellen. Die Konsequenz dieser Haltung ist,
dass der Mensch beginnt, die Dinge selber zu erledigen. Er lebt, als ob es Gott nicht
gäbe. Dies schließt zwar nicht aus, dass er sich in bestimmten Notsituationen
an Gott wendet. Doch im praktischen Alltag spielt Gott für ihn meist keine Rolle.
Der Mensch aber, der lebt, als ob es Gott nicht gäbe,
ist der Mensch der Sünde. Er verfehlt den Sinn und die Berufung seines Lebens,
nämlich in der Gemeinschaft mit seinem Schöpfer zu leben, ihm zu vertrauen
und dankbar die Gabe des Lebens aus seiner Hand zu empfangen. Statt dass er auf Gottes
Stimme hört, der ihm zusichert, dass er sich um ihn sorgen wird, will der Mensch
für sich selbst sorgen. Statt dass er die Gemeinschaft mit seinem Schöpfer
pflegt, zieht er sich zurück auf sich selbst. Statt dass er vertraut, dass Gott
es gut mit ihm meint, entzieht er ihm das Vertrauen und misstraut seinen Zusagen und
Versprechen.
Er wendet sich also komplett von seinem Schöpfer
ab. Er entfernt sich vom Vaterhaus und kehrt seinem Gott den Rücken zu.
Die Folge ist, dass er nur noch sich selbst hat. Er
redet nicht mehr mit seinem Schöpfer, sondern nur noch mit sich selbst. Er vertraut
nicht mehr seinem Herrn, sondern nur noch seiner eigenen Leistung. Er glaubt es nicht
mehr, dass Gott für ihn sorgt; daher ist er von eigener Sorge getrieben. Damit
zieht er nicht nur seine eigene Existenz in Mitleidenschaft, sondern auch die seiner
Mitgeschöpfe und Mitmenschen.
Ein Mensch der Sorge. Die Sorge um sein Dasein, sein
Auskommen und Fortkommen, seine Karriere und seinen Erfolg lassen ihn nicht zur Ruhe
kommen. Die Sorge ist sein Begleiter. Sie wohnt bei ihm und hat ihn fest im Griff.
Martin Luther hat diesen in seiner Selbstsorge gefangenen
Menschen als den "in sich selbst verkrümmten Menschen" bezeichnet. Er
hat sich sowohl von Gott als auch von seinen Mitmenschen isoliert. Statt Gaben, die
Gott ihm geschenkt hat, an andere weiterzugeben, nennt er alles sein Eigen und behält
es für sich.
Der in sich selbst Gefangene bzw. Verkrümmte ist
undankbar und geizig. Zuerst wollte er so leben, als ob es Gott nicht gäbe. Nun
muss er auch ohne ihn leben. Er wollte für sich selbst sorgen. Nun muss er es
auch tun. Er, der für sich selbst sorgen wollte, ist nun zur Selbstsorge verdammt.
Er, der sich von Gott und auch vom Mitmenschen isolierte, ist nun der Isolation preisgegeben.
Die Sorge wird zu seinem Schicksal.
II. Sorgen als Flucht aus der Gegenwart
Dass die Sorgen sich in erster Linie auf die Zukunft
richten, ist klar. Weil die Zukunft als ungesichert gilt oder man Angst vor ihr hat,
beschäftigt man sich wenigstens gedanklich mit ihr. Man grübelt und sorgt
sich und hofft auf diese Weise, das Schlimmste zu verhüten. Das Problem dabei
ist nur, dass die Sorgen um die Zukunft nichts nützen. Die Sorgen machen die Zukunft
weder sicherer noch vorhersehbarer. Außerdem berauben sie einen der Gegenwart.
Wer sich ständig mit seiner Zukunft beschäftigt, ist nie richtig präsent.
Immer wieder habe ich mich in Gesprächen dabei ertappt, wie ich in die Zukunft
abschweifte. So erzählt mir bei einem Hausbesuch eine hochbetagte Frau aus ihrem
Leben, und schon nach kurzer Zeit stelle ich fest, wie ich mit meinen Gedanken bereits
im Präparandenunterricht bin, der am Nachmittag beginnt, oder in der Sitzung am
Abend. Richtig peinlich wird es, wenn mein Gegenüber diese geistigen Ausflüge
bemerkt.
Wir sind es gewohnt, uns auf die Zukunft vorzubereiten,
uns um die Zukunft zu sorgen und sie fest in den Blick zu nehmen. Dabei verlieren wir
jedoch das Hier und Heute.
Interessant ist es daher zu sehen, wie die Bibel das
Heute betont. Die "Sorgentherapie" von Jesus besteht darin, dass er unsere
Konzentration auf das Heute, das Hier und Jetzt, lenkt. Am Ende seiner Predigt über
die Sorgen sagt Jesus: "Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag
wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat"
(Matthäus 6,34). An der Schöpfung lassen sich große und tiefe Dinge
lernen. Jesus war mit der Schöpfung vertraut. Er lebte mit ihr. Somit kann er
sie auch immer wieder heranziehen, um geistliche Sachverhalte zu verdeutlichen. Als
er die Lilien auf dem Feld betrachtet, entdeckt er, wie sie ganz und gar in der Gegenwart
leben. Sie sorgen sich nicht um den morgigen Tag. Ob es am nächsten Tag regnet,
stürmt oder ob die Sonne scheint, bekümmert sie nicht. Sie leben im Heute
und genießen es. Derjenige, der heute für sie sorgt, wird auch morgen für
sie sorgen. Die Blumen auf dem Feld werden somit zum Vorbild für uns Menschen.
Die Sorge für morgen soll uns heute nicht belasten. So wie Gott heute für
uns sorgt, so wird er es auch morgen tun. Er bleibt derselbe. Das Problem dabei ist
nur, dass uns diese unbekümmerte Lebenshaltung von Natur aus überhaupt nicht
eigen ist. Viel näher liegt es uns, Vorräte anzuschaffen, für Sicherheiten
zu sorgen und die Zukunftsrisiken so gering wie möglich zu halten.
Die Herausforderung für uns Sorgenmenschen besteht
nun darin, dass wir uns in diese Haltung des täglichen Vertrauens einüben.
Dass wir es also lernen, nicht ständig an morgen zu denken, sondern mehr und mehr
dahin kommen, heute mit Gott zu leben. Ein solches Einüben in die Gegenwart kann
im Gebet stattfinden.
Sich ganz entschieden der Gegenwart zuwenden. Fragen,
die heute nicht anstehen, müssen heute nicht bedacht, geschweige denn gelöst
werden. Herausforderungen und Aufgaben, welche die Zukunft bringen mag, stehen im Moment
noch nicht zur Debatte. Sie haben ihre Zeit. Allein das Heute zählt, und so gilt
es, den heutigen Tag ganz Gott zu überlassen. Dieses Überlassen geschieht
ohne Vorbehalt und ohne Sorgen. Es bedeutet, im Gebet die belastenden Dinge wirklich
bei Gott ruhen zu lassen und nicht wieder auf die eigenen Schultern zu laden. Gott,
der ein Vater ist, soll das Heute bestimmen. Alles, was heute kommen mag, ist unter
seinen Augen. Was mir begegnet, ist von ihm her schon bedacht.
Was von gestern noch nachhängt, soll das Heute
nicht beschweren. Was morgen kommen mag, soll den Blick noch nicht trüben. Vielmehr
heißt es, im Jetzt mit der Fürsorge Gottes und seiner Hilfe zu rechnen.
Das Geheimnis einer solchen Glaubenshaltung ist groß
und herausfordernd zugleich. Denn wer vermag schon ganz und gar in der Gegenwart zu
leben? Sind es nicht die Sorgen, die uns die Gegenwart versäumen lassen?
Wer es jedoch lernt, sich im Gebet auf den gegenwärtigen
Gott auszurichten und sich ihm zu überlassen, entdeckt eine Gegenkraft gegen das
Sorgen. In der Ausrichtung auf den gegenwärtigen Gott kommen wir zur Ruhe. Wir
gewinnen einen Blick für Gottes Möglichkeiten und entdecken, dass wir in
seiner Gegenwart umsorgt sind. Einer solchen inneren Ausrichtung auf die Gegenwart
Gottes bedarf es täglich und am besten sogar mehrmals täglich. Wir halten
inne. Wir schauen auf ihn. Wir erinnern uns an seine Verheißungen.
Dies will freilich geübt werden, und wir werden
wohl ein ganzes Leben lang nicht damit fertig, diese Haltung einzuüben.
Werden wir dadurch als Menschen entmündigt? Gibt
nicht derjenige, der sich Gott ganz überlässt, seine Verantwortung ab? Lebt
er nicht gedankenlos? Verspielt er nicht seine Zukunft?
Es geht darum, aus dem ständigen Kreisen um die
Zukunft herauszufinden. Es will helfen, die volle Konzentration auf den gegenwärtigen
Gott zu richten und eine Haltung des Vertrauens einzuüben. Das darf nicht als
Anleitung zur Verantwortungslosigkeit missverstanden werden. Es geht darum, das Heute
zu gewinnen und die Zukunft Gott zu übergeben. Was wir heute tun können,
das sollen wir tun. Was morgen sein wird, wissen wir nicht, deshalb vertrauen wir es
ihm an.
Martin Luther wird ein schöner Satz zugeschrieben,
der gut zu unserem Thema passt: "Du kannst nicht verhindern, dass die Vögel
der Sorge über deinem Kopf fliegen, aber du kannst verhindern, dass sie auf deinem
Kopf Nester bauen." So oder ähnlich wird der Satz gerne zitiert. Es lohnt
sich aber, einmal diesen Satz im Zusammenhang zu hören. Dann merkt man auch, dass
auch Luther diesen Satz bereits zitiert. Er fällt in einem Brief Luthers an seinen
Freund, den Theologen Hieronymus Weller (1499-1572), der von vielen Sorgen geplagt
war, vom 19. Juni 1530:
Gott ist kein Gott der Traurigkeit, sondern des
Trostes und der Freude, wie auch Christus spricht (Matth. 22,32): Gott ist kein
Gott der Toten, sondern der Lebendigen. Was aber heißt Leben andres als sich
im Herrn freuen? Darum gewöhne dich an solche Gedanken, treib andere hinweg
und sprich: dich hat der Herr nicht geschickt! dein Rat stammt nicht von dem, der
dich berufen hat! Solcher Kampf ist im Anfang hart, aber mit der Zeit wird er leichter.
Denn nicht du allein musst solche Gedanken aushalten, sondern alle Heiligen. Sie
haben aber gekämpft und überwunden, so weiche auch du dem Übel nicht,
sondern streite desto mutiger dagegen. Das Wichtigste in solchem Kampf ist, solche
Gedanken nicht anzusehen, zu erforschen und ihren Gegenständen nachzugehen,
sondern sie zu verachten und an ihnen vorüberzugehen wie am Gezisch eines
Gänserichs. Wer das gelernt hat, hat überwunden; wer's nicht lernt, wird
überwunden. Denn wenn man sie ansehen und mit ihnen disputieren will, bis
sie ablassen oder von selber weichen, so erregt und stärkt man sie nur. Nimm
dir das Volk Israel zum Exempel, das seine Schlangen auch nicht durch Ansehen und
Kämpfen überwunden hat, sondern dadurch, dass es sein Gesicht von ihnen
abwandte anderswohin, nämlich zu der ehernen Schlange. Das gilt auch für
diesen Kampf und einen gewissen Sieg. Darum, mein lieber Hieronymus, sieh zu, dass
du diese Gedanken nicht in deinem Herzen bleiben lässt. Darum hat ein weiser
Mann einem, der hierin versucht war und sprach was fallen mir für böse
Gedanken ein!' geantwortet: so lass sie wieder ausfallen! Das war ein sehr guter
Orakelspruch. Und ein anderer hat einem, der ihn in derselben Sache fragte, geantwortet:
das kannst du nicht verhüten, dass die Vögel über dein Haupt wegfliegen,
aber verhüten kannst du, dass sie Nester bauen in deinen Haaren. [WA Br 5,
374, 19-39]
Gott kennt dein Gestern, er ist heute da und er kümmert
sich um dein Morgen.

Die Kirchengemeinde
Eysölden und das Gottesdienstteam wünscht eine gesegnete Woche!
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