Themenpredigt:
"Geben ist seliger denn Nehmen?!"
Es gilt das gesprochene Wort!
"Geben ist seliger denn Nehmen",
das ist ein Sprichwort. Aber vermutlich nicht alle, die dieses Sprichwort in den Mund
nehmen, wissen, dass es ein Wort aus der Bibel ist. Dieses kleine Wörtchen "denn"
verwenden wir bei Vergleichen ja heute nicht mehr, wir sagen stattdessen "als".
Und in der Tat steht heute in unserer Lutherbibel: "Geben ist seliger als nehmen".
Trotzdem, im Sprichwort ist uns der alte Wortlaut aus der Lutherbibel erhalten geblieben:
"Geben ist seliger denn Nehmen".
Etwas Zweites ist an diesem Wort bemerkenswert. Es
stammt ja aus der Apostelgeschichte des Lukas, genauer gesagt aus der Abschiedsrede
des Paulus an die Ältesten von Ephesus: "Ich habe euch in allem gezeigt,
dass man so arbeiten und sich der Schwachen annehmen muss im Gedenken an das Wort des
Herrn Jesus, der selbst gesagt hat: Geben ist seliger als nehmen" (Apostelgeschichte
20,35). Normalerweise erwarten wir, dass Worte, die Jesus gesprochen hat, in einem
der Evangelien stehen. Das ist bei unserem Sprichwort nicht der Fall. Es handelt sich
um ein Wort von Jesus, das nicht in den Evangelien steht. Und da gibt es nur ganz,
ganz wenige!
Aber verlassen wir unsere Gedanken über die Form
des Wortes und kommen zum Inhalt. "Geben ist seliger denn Nehmen".
Da fällt uns ja das Wort "seliger" auf.
Warum heißt es nicht einfach nur: "besser": "Geben ist besser
als Nehmen"? Im Unterschied zu dem neutralen Wort "gut" bzw. "besser"
ist das Wort "selig" ein Beziehungswort, und zwar in doppelter Hinsicht:
Es spielt zum einen auf die Beziehung zu Gott an. Zum anderen weist es auf den zurück,
der gibt. Mit anderen Worten: Der gibt, der hat selber etwas davon, der wird dadurch
"selig", der freut sich darüber, der empfindet Mitfreude über der
Freude, die er beim "Empfänger" ausgelöst hat.
Was gebe ich denn eigentlich? Gebe ich etwas her, was
mir gehört?
Unser Leben mit allem, was dazugehört, ist uns
in Wahrheit nur anvertraut. Es ist uns mit der Einladung und dem Auftrag gegeben, es
der bewussten Abhängigkeit von Gott zu gestalten. Das klingt zunächst einmal
ganz selbstverständlich und ist doch gleichzeitig eine Riesenherausforderung.
Unsere Fähigkeiten, unser Denken, unsere Zeit,
unsere Kinder und unsere Eltern, unsere Freunde und Kollegen, unser Besitz
Alles
ist uns anvertraut. Wir dürfen es gestalten, und wir sollen es gestalten. Wir
sind nicht die Besitzer, sondern die Verwalter. Das heißt unsere Aufgabe ist
es, mit dem, was uns gegeben wurde, in Gottes Sinne umzugehen. Dazu gehört natürlich
auch, es selbst zu genießen. Doch wir haben für all das auch eine Verantwortung.
Ein paar Stichworte.
Anvertraute Zeit
Jedem von uns sind täglich 24 Stunden zur Verfügung
gestellt. Wir dürfen diese Zeit füllen und müssen das auch. So oder
so. Nach 24 Stunden sind sie vorbei. Kann es sein, dass wir häufig Raubbau mit
unserer Zeit betreiben? Wir versuchen, möglichst viel darin unterzubringen und
spüren doch, dass damit anderes verloren geht. Es gehört heute Mut dazu,
manches sein zu lassen. Wer sich aber auf diesen Weg einlässt, wird ein Stück
Lebensqualität wiederentdecken - für sich selbst und für andere. Der
internationale Bestsellerautor und Unternehmensberater Stephen R. Covey stellt in einem
seiner Bücher die Frage: "Wer bedauert auf dem Sterbebett, dass er nicht
mehr Zeit im Büro verbracht hat?" Wahrscheinlich niemand. Die Perspektive
der Ewigkeit ist hilfreich für die Frage nach unserer Lebensgestaltung hier. So
heißt es in Psalm 90,12: "Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen,
auf dass wir klug werden." Vom Ende her denkend fällt es uns leichter zu
fragen: Was ist wirklich wichtig?
Anvertraute Kontakte
Auch Menschen sind uns anvertraut. Da sind die Verwandten,
die Eltern oder Kinder, Freunde, Nachbarn, Kollegen. Ein Mensch zu Luthers Zeiten begegnete
im Laufe seines Lebens so vielen verschiedenen Menschen, wie wir durchschnittlich pro
Woche. Durch unsere Mobilität haben wir heute viele Kontakte, aber manchmal weniger
echte Begegnung.
Anvertraute Verantwortung
"Besitz verpflichtet!" Auf diese Kurzformel
konnte früher die Verantwortung für das uns Anvertraute gebracht werden.
In einem Bereich unserer Gesellschaft gilt dieser Zusammenhang allerdings weithin nicht
mehr. Das sind die Aktiengesellschaften. Im Französischen heißen sie treffend
"societé anonyme", anonyme Gesellschaft. Die Firma gehört den
Aktienbesitzern. Diese aber übernehmen fast nie Verantwortung für das, was
in den Betrieben läuft. Deshalb gibt es in Deutschland Unternehmen, die im gleichen
Atemzug Riesengewinne und umfangreiche Stellenstreichungen verkünden. Wir hören
von vielen, dass die Arbeitsbelastung in solchen Firmen ständig steigt. Immer
weniger Leute sollen immer mehr in immer weniger Zeit erledigen. Denn es zählt
allein der Gewinn. Aktien werden fast ausschließlich unter diesem Gesichtspunkt
gekauft. Solange das aber derart im Mittelpunkt steht, dürfen wir uns über
die Folgen nicht wundern, die uns in diesen Tagen geradezu dramatisch vor Augen geführt
werden, Stichwort Finanzmarktkrise.
Anvertraute Gaben
Vieles ist für uns selbstverständlich: ein
Dach über dem Kopf, die Kleidung, genügend Essen, Wasser
Erst wenn
es uns fehlt, wird uns bewusst, wie gut wir eigentlich bisher gelebt haben.
Ein Perlensucher suchte überall auf der Welt nach
der kostbarsten Perle. Eines Tages, er wusste selbst nicht, wie es gekommen war, fand
er die große, herrliche Perle, schön und kostbar - viel kostbarer, als er
es sich in den kühnsten Träumen hätte träumen lassen.
Als er sie ansah, wurde er traurig, denn es war ihm
klar, dass er sie nie besitzen könnte; dazu hatte er nicht genug Geld. Da erschien
der Besitzer der Perle. Er erkannte seine Trauer und sagte: "Du kannst diese Perle
haben" - "Aber ich kann sie doch niemals bezahlen." - "Pass auf:
Du brauchst mir dafür nur alles zu geben, was du hast. Wenn du viel hast, musst
du mir viel geben, wenn du aber nur wenig hast, brauchst du mir auch nur wenig zu geben.
Nur das, was du gerade hast, ist der Preis für diese Perle. Willst du das?"
Der Mann bejahte das freudig. Dann fragte der Perlenbesitzer
weiter: "Was hast du denn?" - "O, ich habe gar nicht viel, ich weiß
nicht genau. Da sind vielleicht fünftausend Euro auf dem Konto. Das, was man so
in Reserve hat." - "Nun gut", sagte der Perlenbesitzer, "dann gehört
das jetzt mir. Hast du noch etwas?" - "Ja, noch etwas Bargeld in der Brieftasche.
Was man so mit sich führt, damit man sich bewegen kann." - "Gut, dann
gehört mir das jetzt auch. Hast du noch etwas?" - "Ich wusste nicht,
was ich noch hätte." - "Ja, aber wo wohnst du denn?" - "Ach,
ich wohne in unserem Haus." - "Ein Haus hast du? Dann gehört mir das
auch." - "Ja, sollen wir denn in unserem Wochenendhäuschen wohnen?"
- "Also ein Wochenendhaus hast du auch. Nun, gut, das gehört mir auch."
- "Ja, aber wo sollen wir denn jetzt schlafen? Sollen wir denn endgültig
in unseren Wohnwagen ziehen?" - "Ach, einen Wohnwagen und ein Auto hast du
auch?" - "Ja, aber kein Besonderes
" - "Dann gehört
mir das jetzt auch." - "Dann stehe ich ja mit meiner Frau und den Kindern
auf der Straße." - "Die gehören mir auch!" - "Dann bin
ich ja nur noch ganz allein übrig!"
"Und du gehörst mir jetzt auch. Und nun gebe
ich dir diese Perle, aber höre gut zu: Ich erlaube dir, dass du in dem Haus, das
dir vorher gehört hat und das jetzt mir gehört, weiter wohnen darfst. Aber
vergiss nicht, dass es mein Haus ist, du bist nur der Verwalter dieses Hauses. Du darfst
auch mit deiner Frau weiter zusammen wohnen, aber vergiss nicht, sie ist meine Frau,
und es ist meine Ehe. Lebe jetzt nach meinen Regeln mit deiner Frau und deinen Kindern
zusammen. Selbst das Wochenendhaus und das Auto und das, was du in der Brieftasche
hast, alles das gebe ich dir jetzt zur Verwaltung."
Ja, so ist es. Und vielleicht sollten wir das Tischgebet,
das wir alle kennen und wohl auch regelmäßig sprechen, in dieser Hinsicht
einmal ganz bewusst bedenken: "Alle guten Gaben, alles, was wir haben, kommt,
o Gott, von dir
" Ja, alles, was wir haben, kommt von Gott. Er hat es uns
gegeben zur Verwaltung. Er hat es uns anvertraut, damit wir verantwortungsvoll damit
umgehen.
Jetzt verstehen wir auch besser, warum Geben seliger
ist als Nehmen.
Wenn ich etwas nehme, das mir nicht gehört, dann
eigne ich es mir unrechtmäßig an. Wenn alles, was wir haben, uns von Gott
nur anvertraut ist, dann steht es mir nicht zu, völlig nach Belieben darüber
zu verfügen. Vielmehr muss ich im Sinne des Besitzers, des Eigentümers damit
umgehen. Eigentümer ist Gott. Deshalb ist das, was er will, der Maßstab,
wie ich mit den Gaben, die mir anvertraut sind, umgehe. Gottes Wille ist der eine Grund,
warum Geben seliger ist als Nehmen.
Der zweite Grund liegt im Wesen Gottes. Es gehört
zu den Wesensmerkmalen Gottes, zu seinen "Charaktereigenschaften", dass er
gibt. Gott gibt gerne. Und er gibt viel. Johann Scheffler (1624-1677), auch Angelus
Silesius, der "schlesische Bote" genannt, drückt es einmal so aus: "Gott,
weil er groß ist, gibt am liebsten große Gaben, ach, dass wir Armen nur
so kleine Herzen haben." Gott gibt, weil er liebt. Gott gibt alles, sogar seinen
eigenen Sohn: "Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn
gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben
haben" (Johannes 3,16). Und Paulus fragt deshalb: "
wie sollte er uns
mit ihm nicht alles schenken?" (Römer 8,32b). Wenn aber Gottes Wesen darin
besteht, dass er gerne gibt, dann ist das auch das eigentliche Vorbild für uns
Menschen, die wir nach Gottes Ebenbild geschaffen sind. Und wenn wir als Christen leben,
also in der Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott, dann wird es unser Wunsch sein, uns
auch im Geben Gott selbst zum Vorbild zu nehmen.
Nun mag sich mancher trotzdem denken: Schön und
gut, aber das hört sich alles sehr nach Moral an, nach Verpflichtung, nach Tun-Müssen,
nach Unfreiheit. Wie gut, dass Gott uns durch und durch kennt, dass er uns ins Herz
schauen kann, dass er unsere innersten Beweggründe durchschaut und wir ihm nichts
vormachen können. Durch zähneknirschendes Geben können wir Gott weder
beeindrucken noch erfreuen. Der Apostel Paulus bringt das einmal sehr treffend auf
den Punkt. Im Hinblick auf eine Sammlung für die Gemeinde in Jerusalem schreibt
er den Korinthern: "Wer da kärglich sät, der wird auch kärglich
ernten; und wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen. Ein jeder, wie
er's sich im Herzen vorgenommen hat, nicht mit Unwillen oder aus Zwang; denn einen
fröhlichen Geber hat Gott lieb" (2. Korinther 9,6f). Also nicht mit Unwillen
oder aus Zwang!
Und dass dies nicht nur für Geld zutrifft, das
macht folgende kleine Geschichte deutlich:
Ein Ehepaar feiert goldene Hochzeit. Beim gemeinsamen
Frühstück denkt die Frau: Seit fünfzig Jahren nehme ich auf meinen Mann
Rücksicht und gebe ihm das knusprige Oberteil des Brötchens. Heute will ich
es mir endlich selbst gönnen. Sie schmiert das Oberteil des Brötchens für
sich und gibt die andere Hälfte ihrem Mann.
"Mein Liebling", ruft dieser hocherfreut,
"was für ein wunderbarer Tagesbeginn! Fünfzig Jahre lang habe ich auf
das Brötchen-Unterteil verzichtet, obwohl ich es am liebsten mag. Ich dachte immer:
Es schmeckt dir so gut, und darum sollst du es auch haben."
Wir sehen daran: Verzichten kann unglaublich froh machen,
verschenken kann unvorstellbar reich machen.
Und denken wir daran: Es geht beim Geben nicht nur
um unser Geld, sondern genauso um unsere Zeit, unsere Kraft, unsere Fantasie, unsere
Talente und vieles mehr
Wer die Freiheit zum Geben entdeckt, der wird selbst
dadurch reich beschenkt. Es macht einfach Freude
Die Kirchengemeinde
Eysölden und das Gottesdienstteam wünscht eine gesegnete Woche!
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