
Themenpredigt:
"
wie dich selbst!"

Es gilt das gesprochene Wort!

Da haben wir eine bunte Schafherde kennengelernt.
Das schönste Schaf, das ganz von sich überzeugt ist. Das neidische Schaf,
das immer denkt, die anderen hätten es besser. Das schwarze Schaf, das denkt,
immer alles falsch zu machen. Das brave Schaf, dessen Devise "Nur nicht auffallen"
heißt. Das Machtschaf, das immer den anderen zu sagen weiß, wo es lang
geht. Und das traurige Schaf, das davon überzeugt ist: "Keiner liebt mich!"
Sie allen sind hier aufgetreten. Sie alle haben sich
im Spiegel angeschaut und darin ihr Wesen, ihre Art, ihren Charakter bestätigt
gefunden. "Ja, genau so ist es. Das Spiegelbild ist doch der Beweis, dass ich
das schönste, das neidische, das schwarze, das brave, das Machtschaf, das traurige
Schaf bin." Oft wechseln auch die Wahrnehmungen, welches Schaf ich gerade bin
Doch halt, ihr Schafe! Habt ihr eigentlich gemerkt,
in was für einen Spiegel ihr geschaut habt! Es ist ein Zerrspiegel, wie man ihn
vom Jahrmarkt kennt. Und ein Zerrspiegel kann kein richtiges Spiegelbild erzeugen.
Es ist ein verzerrtes Bild, ein Zerrbild - und damit ein falsches Bild! So, wie ich
in einem Zerrspiegel aussehe, so bin ich nicht in Wirklichkeit.
Und das bedeutet doch: Das schönste, das neidische,
das schwarze, das brave, das Machtschaf, das traurige Schaf, das sich im Spiegelbild
bestätigt fühlt, liegt völlig falsch. Es ist nur ein Zerrbild, das es
da wahrnimmt, das aber nicht seinen wirklichen Charakter, sein echtes Wesen widerspiegelt.
Die meisten von euch werden sofort gewusst haben, woraus
dieser abgeschnittene Satz "
wie dich selbst!" stammt. Richtig: Aus
dem Gebot der Nächstenliebe: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!"
Das Gebot der Nächstenliebe ist wiederum ein Teil des sog. Doppelgebotes der Liebe.
"Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele,
von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich
selbst" (Lukas 10,27).
Nachdem es in vielen "Leben live"-Gottesdiensten
um das Thema der Liebe zu Gott gegangen ist, haben wir uns beim vorletzten "Leben
live"-Gottesdienst im Mai das Thema Nächstenliebe vorgenommen. Ihr erinnert
euch: "Keiner erwartet von dir, dass du die Wüste vor dem Verdursten rettest
" hieß damals das Thema.
Doch in diesem Gebot der Nächstenliebe stehen
eben auch diese Worte "
wie dich selbst!" Man übersieht sie nur
allzu leicht. Aber es lohnt es sich, diese einmal ganz bewusst in den Blick zu nehmen.
Vorher aber sollten wir noch klären, ob Selbstliebe
überhaupt notwendig ist. Schließlich gibt es doch in der Bibel auch Sätze
wie: "Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder,
Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein"
(Lukas 14,26)!
In Sätzen wie diesen geht es um Prioritäten
im Leben, "hassen" hat hier den Sinn: "an die zweite Stelle setzen"
(vgl. 5. Mose 33,9f). Eine allgemeine Aussage, sich selbst zu hassen darf daraus keineswegs
gefolgert werden. Sonst könnte Jesus ja auch die Selbstliebe nicht gleichsam als
Selbstverständlichkeit voraussetzen.
Freilich gibt es fehlgeleitete und krankhafte Formen
der Selbstliebe, die aber eigentlich nicht Ausdruck von Selbstliebe, sondern eher von
Selbsthass sind:
Da ist der Egoismus oder die Egozentrik zu nennen (lateinisch
"ego" = "ich"; "centrum" = "Mittelpunkt").
Ein Egoist ist ein Mensch, der nie gelernt hat, sich selbst zu lieben. Sein Mangel
an Liebe und Anerkennung wirkt wie ein Vakuum, das alles in sich aufsaugt, was es bekommen
kann. Alles ist auf ein isoliertes, hungriges Ich konzentriert, das niemals zufriedenzustellen
ist. Beispiel Schnee-Essen.
Die zweite Fehlform: der Narzissmus. Das Wort leitet
sich von Narziss ab, einem jungen Mann aus der griechischen Sagenwelt, der in sein
Spiegelbild im Wasser sah. Er fand es so schön, dass er sich leidenschaftlich
in sich verliebte. Er kümmerte sich fortan um keinen anderen Menschen mehr und
fand keinen reizenderen Gegenstand für seine Liebe als sich allein. Eines Tages
wollte er sein Spiegelbild umarmen. Dabei fiel er ins Wasser und ertrank. Aus Mangel
an wirklich erfüllender Beziehung bleibt der Narziss an sich selber und seiner
äußeren Erscheinung hängen.
Nun aber zur gesunden Selbstliebe.
Selbstliebe ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
Wer als Christ sich selber liebt, erfüllt zunächst einmal nichts anderes
als ein Gebot Jesu. Er selbst war es, der das dreifache Gebot der Liebe in das Zentrum
seiner Verkündigung stellte (vgl. Matthäus 19,19; 22,39; Markus 12,31.33;
Römer 13,9; Galater 5,14; Jakobus 2,8).
Thomas von Aquin (1225-1274), der größte
Theologe des Mittelalters, begründet die Notwendigkeit der Selbstliebe ganz lapidar
mit einem einzigen Satz: "Die Wurzel alles Bösen in der Welt ist der Mangel
an Liebe zu sich selbst."
Grund genug, sich einmal genauer damit zu befassen.
"Was bringst du da wieder für eine Note mit
nach Hause?!" Der Vater starrt auf die mit nach Hause gebrachte Schulaufgabe mit
der "5". "Wie soll aus dir etwas werden, Junge?! Du sollst es doch zu
etwas bringen im Leben! Du sollst weiter kommen als deine Mutter und ich, hörst
du?! Aber anscheinend kapierst du immer noch nicht, dass wir es gut mit dir meinen.
Du bleibst diese Woche drin und lernst - Hausarrest!"
Der Junge hat die ganze Zeit geschwiegen. Was soll
er auch sagen? Dass er sich Mühe gegeben hat, aber einiges nicht kapiert hat?
Dass der Vater in seinem Alter auch keine besseren Zeugnisse nach Hause gebracht hat
Er ist still. Einerseits rebelliert es in ihm, andererseits will er dem Vater
gefallen, er möchte geliebt werden, angenommen werden, er möchte die starken
Arme des Vaters spüren, die ihn halten.
Inzwischen ist der Junge zum Mann geworden. Die Stimme
des Vaters ist - äußerlich gesehen - verstummt. Aber in sich drinnen hört
er sie noch immer. Längst ist sie seine eigene Stimme geworden. Das musst du unbedingt
erreichen. Wenn du das geschafft hast, dann darfst du dich selbst gut finden, aber
erst dann. Wenn du versagst, bist du nichts wert. Orientiere dich an denen über
dir, versuch gleichzuziehen mit ihnen, sie zu überholen, wenn möglich - dann
bist du etwas, dann kannst du deinem Blick im Spiegel aushalten, vorher bist du ein
erbärmlicher Schwächling, den man nur verachten kann
Manche von uns kennen diese Stimme diese Erwartungen,
Ansprüche. Andere haben sie nach der anderen Seite hin: Nicht: Ich muss unbedingt
groß sein = ich muss mich ständig selbst beweisen! Eigentlich würde
ich lieber kleiner bleiben. Sondern: Ich muss auf jeden Fall klein bleiben = ich darf
mich nicht beweisen! Eigentlich würde ich lieber größer sein.
Manche haben das erlebt, die zum Beispiel keine weiterführende
Schule besuchen durften. Kann ich mich nur dann lieben, solange ich mich den Erwartungen
unterordne und dem vorgegebenen Ideal entspreche?
Der erste Schritt zur Selbstliebe heißt: sich
bewusst machen, was da in mir geschieht, welche psychologischen Mechanismen da am Werk
sind, warum ich so geworden bin, wie ich bin.
Schau in den Spiegel, den du als Postkarte bekommen
hast. Und dann singe bewusst das folgende Lied:
[Lied: "Jesus, zu dir kann ich so kommen, wie
ich bin"]
Selbstannahme ist nicht unbedingt von Anfang an ein
Problem für den Menschen. Schwierig wird es erst dort, wo von außen ein
Ideal, ein "Soll" an mich herangetragen wird: Das müssen nicht unbedingt
die Eltern sein. Die Gesellschaft als ganze hat zum Beispiel eine Fülle von "Solls"
entwickelt (die übrigens zeitbedingt und zeitabhängig sind): Du sollst schön
sein (und was schön ist, wird heute anders definiert als noch vor 50 Jahren und
noch mal anders als vor 100 Jahren; - braun gebrannt, vornehme Blässe
).
Du sollst jung sein. Du sollst gesund sein. Du sollst erfolgreich sein. Du sollst dir
etwas leisten können. Du sollst glücklich sein
Wenn ich jetzt in den Spiegel schaue und dabei das
Ideal im Kopf habe, nehme ich mich selbst als mangelbehaftet und defekt wahr: Ich bin
nicht so, wie ich sein soll, ich bin anders. Mir fehlt etwas. Ich kann mich nicht (mehr)
lieben.
Hilfe gilt es innerhalb dieses Systems nur, wenn ich
versuche, mich selbst diesem Ideal anzugleichen. Der äußeren oder inneren
Stimme nachgebe und mich in die geforderte Richtung verändere. Die Ansprüche
erfülle, bis mein Ich und das Ideal möglichst übereinstimmen. Wenn ich
nun in den Spiegel schaue, kann ich zufrieden mit mir sein: Ich habe es geschafft.
Ich bin so, wie ich sein soll. Ich kann mich lieben.
Vielfach haben Eltern einen Anteil an unseren inneren
Stimmen. Wenn uns das zum ersten Mal so richtig bewusst wird, steigt zunächst
vielleicht Wut in uns auf: Warum habt ihr mich so geprägt? Ihr habt mich in eine
Form gepresst und meine Entwicklung behindert! Ihr seid schuld, dass ich mich nicht
selbst lieben kann!
Aber wenn wir uns länger damit beschäftigen,
stellen wir fest: Auch unsere Eltern sind in eine unheilvolle Geschichte eingebunden,
auch sie sind durch andere zu dem geworden, was sie sind.
Und wenn wir ganz an den Anfang zurückgehen, sprichwörtlich
zu "Adam und Eva" - diese Geschichte sagt uns ja, was für den Menschen
an sich gilt, für uns alle.
Konnten sich Adam und Eva denn lieben - sich selbst?
Im Urzustand ja. Sie waren zufrieden mit sich und der Welt. Schwierig wurde es erst
ab dem Augenblick, als auf einmal die Schlange zu sprechen begann (die innere Stimme):
Du kannst dich doch unmöglich mit deiner Rolle zufrieden geben - das Leben muss
mehr sein, du musst mehr sein - wie Gott eben. Und auf einmal ist ein Ideal da, ein
Anspruch und "Ist" und Ideal sind nicht mehr deckungsgleich. Und nachdem
sie von der verbotenen Frucht gegessen haben, müssen sie sich vor Gott verstecken,
sie machen sich Feigenblätter aus Scham - sie können nicht mehr zu sich selbst
und ihrer Nacktheit stehen, sie können sich selbst nicht mehr lieben, wie sie
sind.
Alle Menschen stecken in dieser kollektiven Verstrickung
- "Erbsünde" nennt man das. Gemeint ist damit, dass sich die Sünde
von Generation zu Generation weitervererbt, und diesem Schicksal, von Natur aus Sünder
zu sein, niemand entrinnen kann. "Seit mein Leben im Leib meiner Mutter begann,
liegt Schuld auf mir; von Geburt an bestimmt die Sünde mein Leben" (Psalm
51,7 HfA).
Wir sehen, wie auch unsere Eltern einbezogen sind in
diese Geschichte. Sie wollten meist das Beste - was leider oft das Gegenteil von gut
ist! -, oder sie konnten nicht aus ihrer Haut, weil sie selbst verstrickt sind in ihre
eigene Geschichte. Die Frage nach Schuld führt letztlich doch nicht weiter. Um
weiterzukommen, ist Vergebung nötig, Frieden damit zu machen und frei zu werden
für Neues.
Der allererste und entscheidende Grund, warum ich mich
selbst lieben kann und darf und soll, ist, dass Gott mich liebt. Wenn es Johannes 3,
Vers 16 heißt: "Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen
Sohn gab
", dann heißt das doch auch: Gott liebt mich! Auch an anderen
Stellen in der Bibel wird das deutlich gesagt. "Ich habe euch lieb", sagt
Gott durch den Propheten Maleachi (1,2a). Und wenn wir eine ähnliche Stelle aus
dem Propheten Jesaja hinzunehmen, aus dem 43. Kapitel, dann heißt es da: "Ich
habe dich lieb" oder "Ich liebe dich". In der deutschen Bibel ist das
nicht so klar erkennbar, weil es sich in einem Begründungssatz befindet, der eine
Wortumstellung verlangt: "... weil ich dich liebe". Man könnte aber
genauso gut übersetzen: "... denn ich liebe dich". Gott hat nicht nur
Liebe, sonder Er ist die Liebe in Person. Deshalb ist Seine Liebe noch viel umfassender:
Er liebt alle Menschen, die Er nach Seinem Ebenbild, als Seine Gegenüber, als
Seine Partner geschaffen hat. Es war Seine Liebe zu einer verlorenen Welt, die Ihn
dazu brachte, Seinen Sohn Jesus, Mensch werden zu lassen: "Also hat Gott die Welt
geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht
verloren werden, sondern das ewige Leben haben" (Johannes 3,16). Wir sind außerdem
in Gottes Augen "wert geachtet" und "herrlich gemacht" (Jesaja
43,4a).
Und weil Gott jeden Menschen liebt als Sein Geschöpf,
deshalb gilt das auch jedem Menschen ganz persönlich: Gott liebt dich!
Wenn Gott dich liebt, wie kannst du dich selbst hassen?
Wenn du Gott so viel wert bist, dass er für dich
seinen Sohn Jesus gesandt hat, wie kannst du meinen, du wärst nur ein kleines
Licht, nutzlos für diese Welt?
Wenn Gott dich mit all deinen Fehlern und Unzulänglichkeiten
annimmt, warum solltest du dich selbst nicht annehmen können?
Wenn Gott dich wert achtet, warum solltest du an deinem
Wert zweifeln, an deiner Würde als Ebenbild Gottes?
Wenn er sagt, er hat dich herrlich gemacht, wie kannst
du dann den Schönheitsidealen der Mediengesellschaft mehr trauen als deinem Schöpfer,
dem lebendigen Gott?
Von Gott geliebt - Du bist wertvoll! Schau noch einmal
im den Spiegel auf der Postkarte, schau dich darin an und lass es dir gesagt sein,
immer wieder: Du bist von Gott geliebt. Du bist wertvoll!
Selbstliebe ist in erster Linie kein Gefühl, sondern
eine Entscheidung. Eine ernste Entschlossenheit, auch das Geschöpf Gottes mit
Liebe und Erbarmen zu umgeben, das ich selber bin. Dabei ist es gut zu wissen: Das
ist und bleibt ein lebenslanger Prozess wie die Liebe überhaupt. In der Liebe
erreicht man nie einen "Ein-für-allemal-Status".
Selbstliebe ohne Gott ist bestenfalls eine Art von
Autosuggestion, die keine großen Folgen für unser Leben hat. Sich selber
lieben heißt zuallererst, Gottes Liebe zu uns ganz persönlich zu akzeptieren.
Nur weil ich für ihn liebenswert bin, kann ich mich dazu durch-ringen, positiver,
liebevoller über mich zu denken und meiner Seele nicht auch noch mit Verurteilung,
Ablehnung oder Härte begegnen.
Gesunde Selbstliebe bleibt nicht ohne Folgen.
Instinktiv suchen wir die Nähe versöhnter
Menschen. In ihrer Nähe können wir leichter atmen, sie leiden auch offensichtlich
entschieden weniger unter irgendwelchen seelischen Belastungen. Kurz, bei ihnen scheint
irgendwo die Erlösung angekommen zu sein.
Ich möchte schließen mit einem Gedicht,
genauer gesagt einem Gebet, von Hans-Joachim Eckstein. Eckstein ist Professor für
Neues Testament in Tübingen. Aber er ist kein abgehobener, verknöchertet
Theologieprofessor, sondern einer, der seinen Glauben lebt und in einfühlsamer
und seelsorgerlicher Art Dinge auf den Punkt bringt.
Zu meiner Überraschung begann
der Weg zu mir selbst da,
wo ich mich auf den Weg
zu dir machte.
Als ich dich so sehen wollte,
wie du wirklich bist,
begann ich zugleich mich selbst
mit neuen Augen zu sehen.
Als ich mich mit dir
versöhnen ließ,
wurde ich auch zunehmend
mit mir selbst und
meinem Leben versöhnt.
Damals wie heute
möchte ich dich annehmen
als das, was du bist -
mein Herr und mein Gott.
Und damals wie heute
erfahre ich,
dass ich gerade darin
mich selbst annehme und werde, was ich bin -
dein Mensch.
[Hans-Joachim Eckstein, Du liebst mich, also bin ich,
Stuttgart, 12. Aufl. 2001, S. 26f]

Die Kirchengemeinde
Eysölden und das Gottesdienstteam wünscht einen gesegneten Sonntag!
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