
Themenpredigt:
"Keiner erwartet von dir, dass du die Wüste
vor dem Verdursten rettest ..."

Es gilt das gesprochene Wort!

"Wir kennen alle das Gebot der Nächstenliebe,
das ein Teil des sog. Doppelgebotes der Liebe ist. Die klassische Stelle, in der die
Nächstenliebe im Neuen Testament verhandelt wird, kennt jedes Kind. Der Evangelist
Lukas berichtet: "Und siehe, da stand ein Schriftgelehrter auf, versuchte ihn
und sprach: Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe?' Er aber
sprach zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du?' Er antwortete
und sprach: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer
Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie
dich selbst" (Lukas 10,25-27).
Und dann erzählt Jesus die Geschichte von dem
Mann, der unter die Räuber gefallen ist. Drei Leute kommen an ihm vorbei: erst
ein Priester, dann ein Levit (das ist ein Tempeldiener). Als drittes kommt ein Samariter,
also einer, der den Juden eigentlich nicht ganz "grün" ist und umgekehrt.
Doch genau dieser rettet dem Mann das Leben. Am Schluss fragt Jesus seinen Fragesteller:
"Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen dem, der unter
die Räuber gefallen war?" Und der antwortete: "Der die Barmherzigkeit
an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So geh hin und tu desgleichen!'"
Das afrikanische Märchen "Die winzige Quelle",
die wir vorhin gehört haben, greift einen Aspekt dieses Gleichnisses vom barmherzigen
Samariter heraus, der aber sehr wichtig ist. Denn die Frage "Wer ist mein Nächster?"
ist keine theoretische Frage, sondern hat eine höchst praktische Bedeutung.
Denn wir alle wissen, wie viel Not und Leid auf unserer
Welt herrscht. An allen Ecken und Enden kriselt es. Menschen hungern und verhungern,
leiden unter Krieg und Katastrophen oder unter bitterer Armut. Unsere Welt, die gute
Schöpfung Gottes ist, wird mehr und mehr zerstört und damit die Lebensgrundlagen
für unsere Kinder und Enkel und die nachfolgenden Generationen.
Für alle diese Probleme, für all das Leidvolle
und Dunkle in dieser Welt steht in dem Märchen das Bild der Wüste. "Eine
große Dürre war über das ganze Land gekommen. Zuerst vertrocknete das
Gras. Dann gingen die Sträucher ein. Kein Regen kam und auch der Morgen brachte
keinen erfrischenden Tau. In großer Zahl waren Tiere verdurstet. Nur wenige hatten
die Kraft besessen, aus der Wüste zu fliehen. Die Trockenheit nahm kein Ende.
Sogar die größten und stärksten Bäume, die tief im Erdreich verwurzelt
waren, verloren ihre Blätter. Alle Quellen und Brunnen, alle Flüsse und Bäche
vertrockneten."
Doch da gab es eine Pflanze, die erstaunlicherweise
die große Dürre unbeschadet überstand. "Wie durch ein Wunder war
eine einzige Blume am Leben geblieben; eine winzige Quelle spendete ihr noch ein paar
Tropfen Wasser. Aber die Quelle war verzweifelt. Sie sagte: Alles vertrocknet,
verdurstet und stirbt um mich herum. Ich kann nichts mehr daran ändern. Wozu soll
ich noch die paar Tropfen aus der Erde holen?'"
Wenn wir vom Bild wieder in die Realität umschalten,
also das Bild auf die Probleme unserer Welt anwenden, dann werden wir merken, dass
viele von uns ähnlich denken wie diese eine Blume.
Manche sagen: Warum sollte ich denn überhaupt
etwas tun? Was bringt's denn schon, wenn ich mich für etwas engagiere? Das ist
doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Und ein Tropfen kann einen Stein nicht
kühlen, sondern verdunstet im Augenblick des Auftreffens auch schon wieder.
Diese pessimistische Sichtweise lässt sich auch
noch steigern. Die winzige Quelle kann ja ihre eigene Existenz und ihren unaufhörlichen
Wasserfluss gar nicht dankbar annehmen, sondern denkt, es sei nur eine Frage der Zeit,
wann auch ihr Sprudeln aufhört und sie mit in den Untergang gerissen wird. Solche
Menschen gibt es. Die bleiben deshalb untätig, weil sie sich selber als Teil des
Unheilvollen, des unabänderlich Schlechten in dieser Welt sehen und die Zukunft
ja ohnehin in einer Katastrophe endet.
Beiden gemeinsam ist es, dass man nichts tut, die Hände
in den Schoß legt und die Dinge einfach ihrem Lauf überlässt.
Doch ich glaube, unser Problem ist nicht so sehr das,
dass wir nichts tun, sondern - im Gegenteil -, dass wir etwas tun und trotzdem oft
nicht zufrieden sind.
Denn wenn man in seinem Engagement, in seinem Dienst
am Nächsten nur einen Tropfen auf den heißen Stein sieht, führt das
nicht zwangsläufig dazu, dass man nichts tut. Es kann auch dazu führen, dass
man etwas tut, aber trotzdem immer ein schlechtes Gewissen hat, zu wenig zu tun oder
nicht das Richtige zu tun. Und das führt dann oft dazu, dass man immer mehr tut,
dass man sich noch dieses und jenes aufhalst, um sein Gewissen zu beruhigen. Doch auch
damit lässt sich das Gewissen nicht beruhigen, sondern es meldet sich wieder.
Und man sucht nach neuen Möglichkeiten des Engagements, die aber wieder nicht
zur Zufriedenheit führt. Es ist wie eine Spirale, die sich immer schneller dreht.
Am Ende weiß man nicht mehr, wo einem der Kopf steht, wird müde und ausgelaugt
oder, wie es die Psychologen drastischer sagen, ausgebrannt, englisch "burn out".
Wie kann man dem entgegensteuern? Das afrikanische
Märchen von der winzigen Quelle kann uns dazu einen Hinweis geben. Da heißt
es am Schluss: "In der Nähe stand ein alter kräftiger Baum. Er hatte
die Klage der Quelle gehört und sagte zu ihr: Keiner erwartet von Dir, dass
Du die ganze Wüste vor dem Verdursten rettest. Deine Aufgabe ist es, dieser kleinen
Blume das Leben zu erhalten.'" Das, was der alte kräftige Baum sagt, ist
der Schlüssel zum Verstehen: "Keiner erwartet von Dir, dass Du die ganze
Wüste vor dem Verdursten rettest. Deine Aufgabe ist es, dieser kleinen Blume das
Leben zu erhalten."
Nichts anderes sagt im Grunde auch Jesus, wenn er die
Frage nach dem Nächsten stellt. "Der Nächste", den wir lieben sollen,
ist weder eine theoretische, nur in der Fantasie existierende Person (oder Personenkreis)
noch eine ein für allemal zu bestimmende Person (oder Personenkreis), die dann
für alle Zeit Ziel unserer Nächstenliebe wäre.
Entscheidend ist, dass wir erkennen, wer unser Nächster
ist und wem wir zum Nächsten werden können und sollen. Das kann heute jemand
anders sein als gestern und wieder ein anderer als morgen. Gewiss soll Nächstenliebe
nicht vom Zufall und von der Beliebigkeit bestimmt sein. Nächstenliebe kann durchaus
fordern und Durchhalten erfordern. Aber es können auch ganz unscheinbare, kleine,
auch einmalige Dinge sein, die doch große Wirkung haben.
Und weil wir dazu neigen, immer nur das Große
und Spektakuläre als wertvoll anzusehen, sollen ein paar kurze Berichte zeigen,
dass es die ganz kleinen Dinge des Alltags sind, die doch oft so viel helfen und Freude
machen.
[M.H.: unverhofftes fertiges Essen nach anstrengendem
Tag]
Nächstenliebe ist immer konkret. Natürlich
gäbe es Hunderttausende, ja Millionen von Möglichkeiten, wo ich einem anderen
dienen und ihm helfen kann, Möglichkeiten, das Leid in dieser Welt zu lindern.
Aber es ist nicht entscheidend, möglichst viel zu tun, sondern es kommt darauf
an, das eine oder das wenige zu tun, das mir von Gott "vor die Füße
gelegt" wird.
Die Bibel spricht weniger vom Vor-die-Füße-gelegt-Bekommen
als von dem was, "vor die Hände kommt". So heißt es beim Prediger
Salomo: "Alles, was dir vor die Hände kommt, es zu tun mit deiner Kraft,
das tu" (Prediger 9,10a). Und im 1. Buch Samuel wird das mit einer Verheißung
verbunden: "Tu, was dir vor die Hände kommt; denn Gott ist mit dir"
(1. Samuel 10,7). Und wenn ich dieses eine oder wenige tue, das Gott für mich
vorgesehen hat, dann ist es gut und ich brauche kein schlechtes Gewissen zu haben,
zu wenig zu tun. Ich sollte also meine Augen offen halten, um zu erkennen, was Gott
für mich möchte, was er für mich vorgesehen hat. Und dann auch das Kleine
und Unscheinbare sehen, das eben genau in meinen von Gott geschaffenen und eröffneten
Möglichkeiten liegt. Denn durch das Warten auf das Große und Spektakuläre
übersehen wir oft gerade das, was Gott uns vor die Füße legt.
[H.S.: unverhofftes Geschenk vor der Haustür]
"Keiner erwartet von Dir, dass Du die ganze Wüste
vor dem Verdursten rettest. Deine Aufgabe ist es, dieser kleinen Blume das Leben zu
erhalten." Wenn du versuchst, die ganze Wüste vor dem Verdursten zu retten,
dann wirst du scheitern und an dir selbst zweifeln und schließlich verzweifeln.
Wenn du aber deine dir von Gott gegebene Aufgabe erkennst und diese engagiert und mit
ganzer Kraft erfüllst, dann wirst du selber zufrieden werden. Denn es ist eine
Aufgabe, die du und kein anderer erfüllen kann und erfüllen soll. Die Quelle
hätte sagen können: Ich kann diese Blume nicht bewässern und am Leben
erhalten, denn ich werde auch bald versiegen. Das kann nur ein Regen machen. Doch dann
wäre sie ihrer Bestimmung nicht gerecht geworden. Indem sie sich aber einlässt
auf ihre ihr gegebene Aufgabe - und zwar ganz und gar -, erfährt sie, dass es
ihre Aufgabe ist, allein ihre und nicht die eines anderen.
[W.K.: unverhofft angebotene Hilfe beim Hausbau]
Und dann ist da noch die Frage nach der Quelle der
Kraft. Wenn ich alles mit eigener Kraft schaffen möchte, dann werde ich bald kraftlos
werden. Also: Wo schöpfe ich neue Kraft? Wo ist meine Kraftquelle?
Die Bibel gibt uns klare Antworten auf diese Frage:
Stellvertretend für viele Aussagen der Bibel seien ein paar Psalmworte genannt:
Psalm 36, Vers 10: "Bei dir, Herr, ist die Quelle des Lebens
" Im ersten
Vers von Psalm 27 heißt es: "Der Herr ist meines Lebens Kraft
"
Und im Kirchweihpsalm, Psalm 84, stehen in Vers 6-8 die schönen Worte, die leider
viel zu selten gelesen und gesprochen oder gesungen werden: "Wohl den Menschen,
die dich für ihre Stärke halten und von Herzen dir nachwandeln! Wenn sie
durchs dürre Tal ziehen, / wird es ihnen zum Quellgrund, und Frühregen hüllt
es in Segen. Sie gehen von einer Kraft zur andern und schauen den wahren Gott in Zion."
Wer den lebendigen Gott für seine Stärke
hält, der wird immer wieder neue Kraft bekommen, der hat die Quelle seiner Kraft
gefunden. "Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit
Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und
nicht müde werden" (Jesaja 40,31).
"Keiner erwartet von Dir, dass Du die ganze Wüste
vor dem Verdursten rettest. Deine Aufgabe ist es, dieser kleinen Blume das Leben zu
erhalten." Auf zwei Dinge also kommt es an. Lasst uns das als Leitgedanken aus
diesem 29. "Leben live"-Gottesdienst mitnehmen:
Erstens: Die Aufgabe oder die Aufgaben erkennen, die
Gott für uns vorgesehen hat, und sie engagiert und kraftvoll angehen und dann
guten Gewissens und getrost die anderen Dinge anderen überlassen, für die
Gott diese Dinge vorgesehen hat.
Zweitens: Die Kraftquelle nicht in mir selber suchen,
sondern in dem lebendigen Gott, der immer genug Nachschub liefern kann, dass ich die
von ihm gestellten Aufgaben schaffen kann, ohne auszubrennen.
"Keiner erwartet von Dir, dass Du die ganze Wüste
vor dem Verdursten rettest."
Gott sei Dank!

Die Kirchengemeinde
Eysölden und das Gottesdienstteam wünscht einen gesegneten Sonntag!
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