Themenpredigt: "Nähme ich
Flügel der Morgenröte
"
Es gilt das gesprochene Wort!
"Nähme ich Flügel der Morgenröte
und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen
und deine Rechte mich halten."
Für David ist das alles nicht bloß Theorie. Er sagt es in immer neuen Bildern:
Gott ist überall, vor ihm zu fliehen, ist überhaupt nicht möglich. "Wohin
soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht? Führe
ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch
da."
Dass Gott auch da ist, wo wir einen Ort für "gottverlassen" halten,
das mag uns ein kurzer Filmausschnitt deutlich machen
<Filmausschnitt aus "Don Camillos Rückkehr">
"Willst du mich hier verkommen lassen, bis mich die Würmer auffressen?"
"O Herr, beim Abschied hast du mir gesagt, ich werde immer bei dir sein. Wenn
du ein Versprechen nicht mehr hältst, wem kann ich dann noch vertrauen?"
Psalm 139 sagt es überdeutlich: Gott ist da. Er ist überall. Wir können
ihm nicht entfliehen.
Im Psalm wird das aber nun nicht nur abstrakt ausgesagt, als eine theologische, aber
letztlich "blutleere" Richtigkeit, sondern mit verschiedenen Bildern illustriert.
Das erste Bild: "Führe ich gen Himmel
" ist ein Bild für
Zeiten des Segens, der Freude, Zeiten "erhebenden Gefühls", Hoch-Zeiten
im Leben. Leider erkennen wir solche Zeiten nicht immer als Geschenk von Gott. Im Gegenteil,
wir neigen dazu, in solchen Zeiten zu meinen, dass wir Gott nicht brauchen. Und so
können solche Zeiten sogar Zeiten besonderer Versuchung sein.
Der Apostel PAULUS dagegen kann sagen: "Ich kann niedrig sein und kann hoch sein;
mir ist alles und jedes vertraut: beides, satt sein und hungern, beides, Überfluss
haben und Mangel leiden; ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht"
(Philipper 4,12f).
Auch DAVID selbst ist ein Beispiel dafür: für seine Hoch-Zeiten (etwa als
er zum König Israels wurde), für seine Versuchung (als er Ehebruch mit Batseba
beging und dessen Ehemann Uria umbringen ließ) und für Gottes Nähe
in alledem und trotz alledem, die freilich nicht "Friede, Freude, Eierkuchen"
bedeutete, sondern schmerzhafte Einsicht, tiefe Reue, aber genau dadurch Vergebung
und Neuanfang.
Das zweite Bild spricht von der Tiefe: "Bettete ich mich bei den Toten
".
Es sind Zeiten der Verzweiflung und Zeiten von Not und Enttäuschung.
Als Beispiel mag hier JOSEF dienen. In Psalm 105 etwa werden seine Schwierigkeiten
und Probleme in wenigen Versen genannt: Er wurde als Sklave nach Ägypten verkauft,
kam dort ins Gefängnis. Aber Gott war zu jeder Zeit bei ihm. Er kam wieder frei.
Ja, mehr noch: "Da sandte der König hin und ließ ihn losgeben, der
Herr über Völker, er gab ihn frei. Er setzte ihn zum Herrn über sein
Haus, zum Herrscher über alle seine Güter, dass er seine Fürsten unterwiese
nach seinem Willen und seine Ältesten Weisheit lehrte" (Psalm 105,20f).
Das dritte Bild: "Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am
äußersten Meer
"
Die "Flügel der Morgenröte", das ist ja ein wunderschöner
poetischer Ausdruck. Es gibt zwei Möglichkeiten, wie man das verstehen kann.
Die eine Möglichkeit: Die "Flügel der Morgenröte" sind ein
anderes Wort für den Osten oder den Orient. Das "äußerste Meer"
ist eine Umschreibung für den Westen oder den Okzident. Im Sprachgebrauch der
Bibel wäre damit dann die ganze Erde gemeint. So wie der Ausdruck "Himmel
und Erde" im Hebräischen die ganze Welt, den ganzen Kosmos, das ganze Universum
meint.
Es gibt noch eine zweite Möglichkeit, dieses sprachliche Bild zu deuten. Die Flügel
können als Bild für das sich schnell ausbreitende Morgenlicht verstanden
werden. Es ist faszinierend, wie schnell sich die Helligkeit ausbreitet. Nicht die
Helligkeit an einem bestimmten Ort ist hier gemeint, sondern dass es aus Sicht des
Betrachters zur gleichen Zeit "überall" hell wird. Die Raumfahrt ist
ja schon sehr weit fortgeschritten, und Flüge in Über-Schallgeschwindigkeit
sind heutzutage nichts Besonderes mehr, wenn auch nicht mehr im Passagierbereich. Aber
von der Lichtgeschwindigkeit sind sämtliche Raumfahrzeuge noch weit, unvorstellbar
weit entfernt. Aber selbst wenn es das irgendwann einmal geben sollte - auch damit
könnte man Gott nicht entfliehen.
Im dritten Bild geht es jedenfalls um Zeiten, wenn wir uns von Gott entfernen, wenn
wir versuchen, vor ihm zu fliehen.
Ein biblisches Beispiel dafür ist der Prophet JONA. Er flieht von Gott, er landet
im Meer, schließlich im Schlund eines großen Fisches. Doch auch dort ist
Gott da. Und so kann Jona im Bauch des Fisches auf einmal anfangen zu beten.
Schließlich das vierte Bild, das Gottes Nähe und Allgegenwart illustrieren
soll: "Spräche ich: Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht
um mich sein
" Hier geht es um Zeiten, in denen sich Menschen vor Gott verborgen
fühlen.
Als Beispiel könnte man hier eine weniger bekannte Person anführen, nämlich
MEFI-BOSCHET, einen Sohn Jonatans. Er ist lahm an den Füßen und bezeichnet
sich selber als "toten Hund": "Wer bin ich, dein Knecht, dass du dich
wendest zu einem toten Hunde, wie ich es bin?" (2. Samuel 9,8). Doch genau er
ist es, an dem David Barmherzigkeit tun will, und damit eigentlich Gott durch David.
Interessant ist nun, dass diese vier Bilder, die David in seinem Psalm verwendet, um
Situationen zu beschreiben, die Gottes Gegenwart fraglich erscheinen lassen, jeweils
mit einem klaren Bekenntnis zur Allgegenwart Gottes enden. Gott ist nicht "einfach
so" da, als "höheres Wesen", das nichts mit uns zu tun hätte.
Nein, Gott ist da aus einem ganz bestimmten Grund und zu einem ganz bestimmten Zweck.
Gott ist da - um uns zu führen und zu leiten: "
so würde auch
dort deine Hand mich führen".
Gott ist da - um uns festzuhalten: "
und deine Rechte mich halten".
Gott ist da - um uns zu erleuchten, um unseren Lebensweg hell zu machen: "
so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir".
Gott ortet uns zu allen Zeiten. Er weiß immer, wo wir sind. Keiner kann sich
Gott entziehen. Er findet uns immer! Die Bewegung der Gott-Losigkeit - Gott loswerden
- ist eine aussichtslose Sache. Man kann Gott nicht abschütteln. Beim Verkehrsleitsystem
kann ich entscheiden, ob ich es an- oder ausmache. Ich kann zur Not auch den Empfänger
rausreißen. Ich bin autonom. Aber die Erkenntnis des Psalmbeters David ist: ich
kann nicht selbst entscheiden, ob ich gesehen werde von Gott. Gott ist immer und überall
da. Ich kann es nur vergessen oder wissen, mich darauf einzustellen oder es negieren.
Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass Gott nah ist, dass Er uns nah ist.
Manche denken ja, Christen seien Träumer, Fantasten! Tatsache ist: Christen sind
Realisten. Sie rechnen mit der Nähe Gottes. Nicht nur geographisch, nicht nur
zeitlich, sondern auch inhaltlich.
Gott ist so nah, dass er meine Gedanken von ferne erkennt. Ich kann nichts verbergen
vor ihm. Buch und Film von George Orwell, "1984", lassen grüßen.
"Big Brother is watching you." Auch die Gedanken, die Stimmungslage, die
Absichten - nichts ist vor ihm verborgen.
Hast Du Sorge vor der totalen Überwachung? Empfindest Du Zorn oder Freude? Es
ist ja so ähnlich, wie wenn einem beim Autofahren ein Polizeiwagen hinterher fährt.
Man kann sich ja jetzt ganz unsicher fühlen - ob man etwas falsch macht - oder
ganz sicher: da ist jemand, der auf mich aufpasst. Jetzt kann ich in Ruhe weiterfahren.
Man kann sich über Gottes Röntgenblicke ärgern und man kann zu Tode
erschrecken - was ist eigentlich das Gegenteil von "zu Tode erschrecken"?
Man kann sich über Gottes Röntgenblick zum Leben erfreuen. Das ist wie das
große "Wow! Das ist ja spitze!" Da ist einer, der kennt mich! Ich brauche
mich nicht verstecken. Ich darf so sein, wie ich bin. Einer, der versteht mich. Endlich
brauche ich mich nicht zu erklären. Er kennt mich durch und durch! Vor dem muss
ich nicht mein Gesicht wahren. Vor dem muss ich mich nicht so gut als möglich
verkaufen. Man kann sich alle Kosmetik sparen, man muss Ihm nichts vormachen. Man muss
auch keine Versprechungen machen, dass alles irgendwann besser wird. Da ist endlich
einer, der mich nicht falsch einschätzt. Da ist einer, der mich nicht unterschätzt.
Da ist einer, der mich nicht überschätzt. Da ist einer, der mich nicht überfordert!
Da ist einer, der mich vom ersten bis zum letzten Atemzug kennt - noch mehr: vor dem
ersten Atemzug und nach dem letzten Atemzug.
Davon nämlich spricht unser Psalm in den Versen 13 und folgende. Du bist nicht
ein Zufall des Unfalls! Über Dir steht Gottes Ja!
Wer das erkennt, gewinnt eine Stabilität fürs Leben, die unaufgebbar ist.
Die Fragen: "Wer bin ich? Wozu bin ich da? Wo komme ich her? Warum bin ich überhaupt
da? Wo gehe ich hin? Was wird aus mir?" haben einen Adressaten. Ich kann den fragen,
der die letzte Verantwortung für mein Leben trägt.
Wenn ich das weiß: Gott ist nahe - Er sagt ja - ich bin da! Dann haben wir die
Chance, das Satellitensystem Gottes in Betrieb zu nehmen. Ich darf Gott danken, dass
Er mich gemacht hat. Deshalb darf ich bewusst mit Ihm leben, unter Seiner Leitung,
aber auch mit Seiner Diagnose meines Lebens und mit Seiner Therapie. Kurzum: Leben
im Element Gottes!
Sein Nahesein darf ich dankbar bejahen. Sein Ja zu mir darf ich freudig annehmen. Und
nun kann ich sagen: ich bin da! Jetzt bin ich gespannt, wie das Leben im Element Gottes
aussieht.
Ich schließe mit den letzten Worten des 139. Psalms. Wer möchte, kann sie
als Gebet mitsprechen:
"Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie
ich's meine. Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege."
Amen.
Die Kirchengemeinde
Eysölden wünscht einen gesegneten Sonntag!
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