Themenpredigt: "Enttäuschte
Erwartungen"
Es gilt das gesprochene Wort!
Haben Sie erwartet, dass Sie heute am Eingang begrüßt
werden, so wie Sie es vom "Leben live"-Gottesdienst gewöhnt sind? -
Erwartung enttäuscht! Haben Sie erwartet, dass jeder Gottesdienst mit einer Begrüßung
durch den Pfarrer beginnt? - Erwartung enttäuscht! In der Schule: Fleißig
gelernt auf die Schulaufgabe, gutes Gefühl gehabt, schlecht gelaufen. - Erwartung
enttäuscht! Weihnachten: Ein bestimmtes Geschenk erwartet, darauf gehofft, davon
geträumt. - Erwartung enttäuscht! Silvester: Viel sich vorgenommen, gute
Vorsätze für ein gutes neues Jahr, schon nach wenigen Tagen in den alten
Trott zurückgefallen - Erwartung enttäuscht! Urlaub: Sich das ganze Jahr
darauf gefreut, Kinder krank, Abreise schon nach der Hälfte der Tage - Erwartung
enttäuscht! Eine Beziehung eingegangen: Verliebtheit, Liebe, auf "Wolke sieben"
schweben, Hochzeit, bald darauf alles anders - Erwartung enttäuscht! Oder auch
anders: Sich einen Partner fürs Leben wünschen, manches dafür getan,
trotzdem erfolglos, nichts von Dauer, allein geblieben, beziehungslos - Erwartung enttäuscht!
"Enttäuschte Erwartungen" - das ist mitten aus dem Leben gegriffen.
Enttäuschte Erwartungen, die gibt es ständig. Im Kleinen wie im Großen.
Wir können tun, so viel wir wollen, uns anstrengen, uns die beste Mühe geben
- vor Enttäuschungen sind wir damit noch lange nicht sicher.
Und wenn wir die Bibel aufschlagen. Gibt es da keine Enttäuschungen? Weit gefehlt.
Die ganze Bibel ist von der ersten bis zur letzten Seite voller enttäuschter Erwartungen.
Beispiele gefällig?
Gott hat sich den Menschen als Partner ausgedacht, doch der Mensch wollte lieber ohne
Gott leben, auch wenn es seinen Untergang bedeutet - Erwartung, die Gott hatte, enttäuscht!
In unendlicher Liebe und Geduld geht Gott seinen Menschen, seinem Volk nach, dass sie
wieder zu ihm zurückkehren: "Ich streckte meine Hände aus den ganzen
Tag nach einem ungehorsamen Volk, das nach seinen eigenen Gedanken wandelt auf einem
Wege, der nicht gut ist; nach einem Volk, das mich beständig ins Angesicht kränkt"
(Jesaja 65,2). Doch sie wenden ihm weiter den Rücken zu - Erwartung, die Gott
hatte, weiter enttäuscht! Mose kommt vom Berg Sinai, auf dem er die Gebote von
Gott empfangen hatte. Die Israeliten haben in der kurzen Zeit der Abwesenheit des Mose
einen eigenen Gott gebastelt, ein Stierbild aus Gold, das "goldene Kalb"
(2. Mose 32) - Erwartung des Mose enttäuscht! Gethsemane: Jesus betet, dass der
Kelch des Leidens an ihm vorübergehen möge, dass ihm der Tod am Kreuz erspart
bliebe, "doch nicht wie ich will, sondern wie du willst", sagte er zu seinem
Vater (Matthäus 26,39). Jesus hoffte, dass er in dieser schweren Stunde im Gebet
von seinen Jüngern unterstützt würde, dass sie mit ihm beten würden.
Er kam zurück, die Jünger, sie schlafen! "Könnt ihr denn nicht
eine Stunde mit mir wachen?" (V. 40) - Erwartung von Jesus enttäuscht! Lazarus
ist schwer krank. Jesus soll kommen und ihn gesund machen. Jesus wird aufgehalten;
als er kommt, ist Lazarus schon tot. "Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder
wäre nicht gestorben", sagt Martha, Lazarus' Schwester zu Jesus (Johannes
11,21) - Erwartung der Angehörigen enttäuscht! Zwei Jünger auf dem Weg
von Jerusalem nach Emmaus. Jesus gesellt sich "inkognito" dazu. Sie waren
so traurig, weil ihr Herr gestorben ist. So viel hatten sie von ihm erhofft: "Wir
aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde" (Lukas 24,21) - Erwartung
der Jünger enttäuscht!
Enttäuschte Erwartungen gehören also zu unserem Leben. Und sie gehören
zu unserem Glauben. Auch wer Jesus Christus vertraut, mit ihm lebt, dem bleiben Enttäuschungen
nicht grundsätzlich erspart.
Wie aber kann ich mit enttäuschten Erwartungen umgehen?
Natürlich lassen sich manche Enttäuschungen vermeiden. Beispielsweise gibt
es manche Erwartungen, die ich offen aussprechen kann, meinem Partner gegenüber
zum Beispiel. Denn der kann nicht meine Gedanken lesen. Wenn ich mich dem anderen gegenüber
äußere, meine Erwartungen äußere und nicht nur heimlich für
mich behalte, dann werden diese Erwartungen auch nicht so leicht enttäuscht. Denn
eins ist ja klar: Dass Erwartungen enttäuscht werden, ist keineswegs immer aufgrund
von bösem Willen oder böser Absicht. Manche Enttäuschungen entstehen
einfach dadurch, dass mein Gegenüber meine Erwartungen nicht kennt.
Und das gilt übrigens durchaus auch Gott gegenüber. Sicher, Gott gibt uns
vieles, ohne dass wir ihn ausdrücklich danach fragen oder darum bitten. "Euer
Vater im Himmel weiß, was ihr braucht, bevor ihr ihn bittet", sagt Jesus
(Matthäus 6,8), um aber unmittelbar danach seine Jüngern beten zu lehren,
das Vaterunser. Und an anderer Stelle fragt Jesus den blinden Bartimäus, der vor
den Toren Jerichos sitzt und bettelt: "Was willst du, dass ich für dich tun
soll?" (Markus 10,51). Jesus will also die Erwartungen des Bartimäus genau
hören. Und man kann wohl davon ausgehen, dass, wenn Bartimäus gesagt hätte:
"Eine warme Suppe, Herr" oder "Ein Dach überm Kopf", dass
er diese Erwartungen erfüllt bekommen hätte. Jesus hätte ihn nicht enttäuscht.
Aber Bartimäus geht aufs Ganze und sagt: "Dass ich wieder sehen kann".
Und Jesus heilt Bartimäus von seiner Blindheit. Erwartung erfüllt.
Übersteigerte Erwartung könnte man das nennen. Aber eine übersteigerte
Erwartung kann es nur Menschen gegenüber geben, und manche enttäuschte Erwartung
resultiert daraus, dass wir Menschen gegenüber einfach zu viel und zu Großes
erwartet haben.
Gott gegenüber kann es übersteigerte Erwartung aber eigentlich nicht geben.
Wenn wir glauben und darauf vertrauen, dass wir einen unendlich reichen Gott haben,
bei dem "kein Ding unmöglich ist", dann kann ihm auch nichts zu groß
und zu schwer sein, als dass er es erfüllen könnte.
Ich sage damit nicht, dass Gott ein Automat ist, bei dem wir oben die Münze in
Form eines Gebets hineinwerfen und unten die Coladose in Form der erfüllten Erwartung
herauskommt. Natürlich gilt: "Dein Wille geschehe", er "bringt
zu Stand und Wesen", was seinem "Rat gefällt". Es geschieht immer
nur, was Gott entweder will oder zulässt. Und trotzdem fragt er auch uns immer
wieder "Was willst du, dass ich für dich tun soll?" Und manche enttäuschte
Erwartung können wir uns in der Tat dadurch ersparen, dass wir auch Gott gegenüber
unsere Erwartung ganz konkret äußern.
Es ist ganz wichtig, dass wir Erwartungen haben. Erwartungen zu haben, ist ein Zeichen
von Lebendigkeit. Und deshalb sind enttäuschte Erwartungen immer auch in dem Sinne
positiv, dass sie eben dies zeigen: Ich habe Erwartungen, bin nicht erwartungslos.
Ich habe Hoffnungen, bin nicht hoffnungslos. Denn das wäre mit das Schlimmste,
was uns passieren kann: keine Erwartungen mehr zu haben. Null-Erwartung kann nicht
die Antwort auf enttäuschte Erwartungen sein.
Und das gilt nicht nur so "allgemein dahingesprochen", sondern durchaus auch
konkret. Es gibt ja Menschen, die gehen aus Angst vor enttäuschten Erwartungen
keine Bindungen mehr ein, keine Beziehung. Warum heiraten denn heute so wenig Menschen?
Weil sie Angst vor enttäuschten Erwartungen haben, weil sie hören, dass jede
dritte Ehe geschieden wird und sie sich das ersparen wollen. Auch hier gilt: Null-Erwartung
ist nicht die Lösung. Nur wer eine Beziehung wagt und sich ein für allemal
festlegt, sich also nicht durch "wilde Ehe" ein Hintertürchen zur Flucht
offenhält, nur wer möglichst offen dann auch seine Erwartungen ausspricht,
der kann das Glück und die Geborgenheit einer Ehe in lebenslanger Liebe und Treue
genießen.
Ich habe eben darüber gesprochen, wie sich enttäuschte Erwartungen vermeiden
lassen. Und es ist wichtig, sich das auch immer wieder klar zu machen: Nicht alle enttäuschten
Erwartungen müssen so kommen, nicht alle Enttäuschungen sind unvermeidlich.
Zu einem gewissen Teil liegt es in unserer Hand, auch Enttäuschungen zu vermeiden.
Damit ist aber freilich zugleich gesagt, dass es enttäuschte Erwartungen gibt,
die unvermeidlich sind.
Selbst wenn ich Menschen gegenüber meine Wünsche äußere, heißt
das ja nicht automatisch, dass sie diese Wünsche auch immer erfüllen oder
auch erfüllen wollen. Die Menschen, mit denen ich lebe, sind ja nicht "Vollstreckungsgehilfen"
meiner Erwartungen. Sie haben einen eigenen Willen, eine eigene Persönlichkeit
und können selber entscheiden, was sie tun und lassen. Ob es mir gefällt
oder nicht.
Viel schwieriger aber sind enttäuschte Erwartungen, die man oft als "Schicksalsschläge"
bezeichnet. Heute Mittag haben wir in Alfershausen einen Menschen mit Behinderung zu
Grabe getragen. Die Eltern hatten sich ein gesundes Kind gewünscht. Doch es hat
nicht sein sollen. - Enttäuschte Erwartung!
Da erwartet jemand, dass das Untersuchungsergebnis so ausfällt, dass man unbeschwert
weiterleben kann, und dann doch: Diagnose Krebs. - Enttäuschte Erwartung!
Da nimmt man Jesu Wort: "Was willst du, dass ich dir tun soll?" ganz ernst
und betet um Heilung, und muss dann doch die fortschreitende Erkrankung durchmachen,
die zu Siechtum und Tod führt. - Enttäuschte Erwartung!
Da tut man alles für seine Kinder. Und doch geraten sie durch Einfluss schlechter
"Freunde" auf die schiefe Bahn. - Enttäuschte Erwartung!
Da bewirbt man sich zum wiederholten Mal um eine Arbeitsstelle. Doch es gibt wieder
eine Absage. - Enttäuschte Erwartung!
Solche Enttäuschungen kann man nicht vermeiden. Da gibt es keine "Tricks",
keine Gegenmittel, die uns davor bewahren können. Es gibt viele Enttäuschungen,
auf die wir keinerlei Einfluss nehmen können.
Wie aber gehen wir mit ihnen um?
Enttäuschungen können uns verbittert machen. Bei manchen äußern
sich solche Enttäuschungen auch in Zynismus, das ist eine Lebenshaltung, die Gift
und Galle verspritzt bei jedem Menschen, der einem über den Weg läuft, und
entsprechend geht man solchen Menschen gerne aus dem Weg.
Nicht zufällig spricht die Bibel von "bitteren Wurzeln", die in unserem
Leben entstehen können, wenn wir nicht rechtzeitig etwas dagegen tun: "Seht
darauf, dass nicht jemand Gottes Gnade versäume; dass nicht etwa eine bittere
Wurzel aufwachse und Unfrieden anrichte
" (Hebräer 12,15).
In diesem Vers finden wir den Schlüssel zum Umgang mit enttäuschten Erwartungen.
Und damit meine ich natürlich diejenigen, auf die wir keinen Einfluss nehmen können,
mit denen wir aber trotzdem konfrontiert werden. Der Schlüssel lautet: "Gottes
Gnade nicht versäumen".
Gott wendet sich uns zu mit seiner Gnade, obwohl wir sie nicht verdient haben. Gott
sieht uns freundlich und liebevoll an, obwohl wir ihm so oft den Rücken zuwenden.
An uns liegt es nur, diese Gnade auch nicht zu versäumen.
Und wenn wir diese Gnade Gottes annehmen, dann bekommt die bittere Wurzel, die enttäuschte
Erwartungen hervorbringen, keine Chance. Dann wird unsere Seele heil. Gottes Gnade
lässt uns leben, lässt uns neu aufleben. Enttäuschte Erwartungen brauchen
unser Leben nicht kaputtzumachen. Denn Gottes Gnade ist stärker, Gottes Gnade
ist größer.
Wir feiern heute miteinander das Mahl des Herrn. Wir tun das nicht, "weil wir
ja auch im "Leben live"-Gottesdienst mal wieder Abendmahl feiern müssen".
Nein, wir tun es, weil wir im Abendmahl die Versöhnung mit Gott und untereinander
feiern. Und weil es kaum einen besseren Weg gibt, mit unseren enttäuschten Erwartungen
umzugehen. Wir sind eingeladen an seinem Tisch. So wie wir ihm die Gaben, Brot und
Wein, darreichen, dass er sie segnet, so können wir ihm auch unsere Enttäuschungen,
unsere Verbitterung geben. Damit wir heil werden. Und wenn er selbst sich uns schenkt
in den Gaben des Altars, wenn wir den wahren Leib und das Blut Christi zu uns nehmen,
dann schenke er uns, dass wir sie "im Glauben und zu unserm Heil" empfangen
und so Heil und Heilung, auch über unseren enttäuschten Erwartungen erfahren,
dass wir unsere enttäuschten Erwartungen ihm geben können und wir dafür
neue Hoffnung und neue Zuversicht von ihm bekommen, neuen Mut auch, damit wir nicht
resignieren über unseren Enttäuschunge
Amen.
Die Kirchengemeinde
Eysölden wünscht einen gesegneten Sonntag!
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